Kirchspiel Gerwen (Gerwischkehmen)


Das Kirchspiel besteht nach Friedwald Moeller mindestens seit 1730, aber nach Angabe von W. Hubatsch hingen in der erst 1803—1805 erbauten letzten Kirche zwei Glocken von 1729 im Dachstuhl.


Am 10. 6. 1971 liefert der letzte Pfarrer von Gerwischkehmen, Gerhard Schenk, folgenden Bericht zur Kirchengeschichte:

Die erste Kirche in Gerwischkehmen ist im Jahre 1730 erbaut worden, und zwar in demselben Baustil wie die Kirche in Mallwischken (Mallwen), Kr. Pillkallen (Schloßberg) und Inse, Kr. Niederung (Elchniederung), als achteckiger hölzerner Zentralbau mit einem Türmchen in der Mitte des Daches (vgl. Abb. der Kirchen von Mallwischken und Inse in W. Hubatschs Geschichte der evangelischen Kirche Ostpreußens (Bd. II, Nr. 482 [Mallwen] u. Nr. 376 [Inse]). Die Baukosten wurden zum größten Teil aus der königlichen Kasse finanziert. Die Kirche war ein massiver Saalbau auf achteckigem Grundriß in schlichter Ausführung. Der Name des Erbauers ist unbekannt. Da die erste Kirche in Gerwischkehmen in dem gleichen Jahre und dem gleichen Baustil wie die benachbarte Kirche in Mallwischken (Mallwen) erbaut wurde, liegt die Vermutung nahe, daß es sich in beiden Fällen um einunddenselben Erbauer handelt. Die Kirche Gerwischkehmen stand unter Königlichem Patronat und hatte einen Prediger (Pfarrer). Die Baumaterialien hatte daher der Fiskus (Staat) zu liefern. — Aus den Plänen und Kostenanschlägen der Regierungen für Kirchbauten in Preußen 1723—1737 — Plan Fischer für Bau und Reparatur von Kirchen im Departement Gumbinnen 1736 — ist zu ersehen, daß lt. Protokoll vom 5. Mai 1735 zur Reparierung der Kirche in Gerwischkehmen, „umb selbige für das Einregnen zu versichern“: 245 Rthlr. und 60 Groschen aufgebracht werden mußten. — Einen unerwarteten Zustrom an Menschen brachte die Einwan¬derung der Salzburger. Zunächst aber gab es Schwierigkeiten verschiedener Art, da die eingesessenen Pfarrer oft keine Änderungen wünschten und den Neuankömmlingen die Gotteshäuser, Schulgebäude und Friedhöfe nicht einräumen wollten. Der Befehl des Königs an den Amtshauptmann von Insterburg, die Pastoren zu veranlassen, den Salzburgern die Kirchen einzuräumen, hatte nur stellenweise Erfolg, da die Prediger sich nicht als Untergebene der Amtshauptleute betrachteten. Noch 1735 empfahl das Samländische Konsistorium, die Salzburger sollten nicht auf Einräumung der Stadtkirche von Gumbinnen bestehen, sondern in dem nur eine Meile entfernten Gerwischkehmen ihre Gottesdienste halten. Erst mit dem Bau einer eigenen Salzburger Kirche in Gumbinnen hörten die Spannungen auf (W. Hubatsch, Gesch. d. ev. Kirche Ostpr. Bd. I, S. 188/89). Die Salzburger Familien der Kirchengemeinde Gerwischkehmen gehörten mit wenigen Ausnahmen zu den kirchlich eingestellten Familien, die auch im Gemeindekirchenrat vertreten waren (Familie Hetz, Kubillus, Kreuzahler u. a.). — Die zweite Kirche in Gerwischkehmen wurde in den Jahren 1803—1805 erbaut, nachdem die alte Kirche baufällig geworden war und abgebrochen werden mußte. Sie wurde an derselben Stelle errichtet, an der auch die erste Kirche gestanden hatte, nur nicht in der gleichen Form. Die Kirche war ein verputzter Ziegelbau auf Feldsteinfundament ohne Turm. Die beiden Glocken, die 1729 gegossen wurden, waren aus der „alten Kirche“ übernommen worden und hingen im Dachstuhl. Der schlichte Innenraum war durch Säulenreihen gegliedert und wurde von Emporen durchzogen. Kanzel und Altar bildeten ein Ganzes. Die Orgel wurde 1847 erworben. Im Jahre 1933 erhielt die Kirche eine Warmluftheizung. Rings um die Kirche erstreckte sich der alte Friedhof, auf dem noch hin und wieder Beerdigungen vorgenommen wurden, da die Familien Hetz (Mühle) Petz (Gasthaus und Kolonialwarenhandlung) und Bauer Gustav Kreuzahler (Abbau) auf dem Friedhof Erbbegräbnisse besaßen. — Die ev.-luth. Kirchengemeinde Gerwischkehmen, die unter staatl. Patronat stand, umfaßte rund 2800 Seelen in 13 Ortschaften. Die ev.-reformierten Bewohner innerhalb der ev.-luth. Kirchengemeinde G. hielten sich zur Reformierten Kirche in Gumbinnen (Gumbinnen-Neustadt), hatten aber ihre Kirchensteuer an die Ev.-luth. Kirchengemeinde Gerwischkehmen zu zahlen, da diese Kirchengemeinde ohne die Kirchensteuer der Reformierten wirtschaftlich nicht hätte bestehen können. Aus diesem Grunde besaßen auch die reformierten Bewohner in der Kirchengemeinde Gerwischkehmen bei kirchlichen Wahlen Stimmrecht und konnten auch in den Gemeindekirchenrat und in die Gemeindevertretung G. gewählt werden. — Zu der Pfarrstelle gehörten 2 ha Ackerland. Ferner gehörten zu den Einkünften der Pfarrstelle Gerwischkehmen 89,1 rm Weichholz (Deputatholz), das aus der Tzull kinner Forst geliefert wurde. Zur Anfuhr des Pfarrholzes waren die politischen Gemeinden des Kirchspiels Gerwischkehmen verpflichtet — mit Ausnahme der politischen Gemeinde Gerwischkehmen, die zur Anfuhr des Deputatholzes für den Präzentor (Organisten) — 30 rm Weichholz — verpflichtet war. — In der Zeit von 1932—1945 gab es in G. Einrichtungen der Inneren Mission nicht; es soll aber früher einmal eine Gemeindeschwesterstation bestanden haben. — 1934 wurde die evangelische Frauenhilfe gegründet, Vorsitzende: Frau Bertha Hetz-Gerwen. Die kirchliche Frauenarbeit wurde in offener Form, ohne Vereinscharakter, durchgeführt, da im NS-Staat alle Vereine gleichgeschaltet werden mußten. In der gleichen offenen Form ohne Vereinscharakter wurde auch die kirchliche Männerarbeit betrieben. Kirchliche Jugendarbeit konnte mit Ausnahme des Kindergottesdienstes, der regelmäßig am Sonntag stattfand, infolge der Gleichschaltung der Jugendarbeit im NS-Staat nicht mehr durchgeführt werden. An kirchlichen Festen wurde im Jahre 1934 in Gerwischkehmen das Kreisfrauenhilfsfest gefeiert, an dem sich die Ev. Frauenhilfen des Kirchenkreises Gumbinnen rege beteiligten. Auch gab es Kindergottesdienstfeste. — Der Verfasser dieses Berichts — Pfarrer Gerhard Schenk — war Mitglied der „Bekennenden Kirche“1, die sich im Kampf gegen die „Deutschen Christen“ — D. C. — gebildet hatte, die eine Umwandlung des kirchlichen Lebens im Sinne der NSDAP als ihr Ziel bezeichneten. In ihrem Abwehrkampf gegen die DC stützte sich die BK auf Schrift (Bibel) und Bekenntnis (Lutherische Bekenntnisschriften). Zur „Bekennenden Kirche“ gehörten in Ostpreußen Ende 1935 etwas über 100 Gemeinden von mehr als 500, zu denen immer neue Gemeinden hinzukamen. In der Gerwischkehmer Kirchengemeinde hatten ca. 500 Gemeindemitglieder die sog. „Rote Karte“ unterschrieben und sich dadurch als „Mitglieder der Bekennenden Kirche“ eintragen lassen. Ein Anschluß der gesamten Kirchengemeinde an die BK war aber in G. nicht möglich, da die Mehrzahl der Mitglieder der Kirchlichen Körperschaften (Gemeindekirchenrat und Gemeindevertretung) über die Liste der „Deutschen Christen“ in die kirchlichen Gremien hineingewählt waren und als Mitglieder der NSDAP zu den „Deutschen Christen“ standen. Infolge eines Bekenntnisgottesdienstes, den Pfarrer Schenk zusammen mit Pfarrer Kurt Hetz-Rogahlen, der Mitglied des Bruderrates der BK war, in der Gerwischkehmer Kirche hielt, wurde er von den Amtsträgern der NSDAP, der er selbst nicht angehörte, angefeindet. Als er sich im Urlaub befand und verreist war, wurde in seiner Abwesenheit im Pfarrhaus in Gerwischkehmen Haussuchung gehalten und nach BK-Schriften gesucht. — Wegen Verteilung von Flugblättern der BK, in denen für eine christliche Bekenntnisschule geworben wurde, mußte sich Pfarrer Schenk vor dem Amtsgericht in Gumbinnen verantworten. Er wurde sogar bei der Gestapo in Tilsit denunziert. Seine Gottesdienste wurden durch sportliche Veranstaltungen der HJ auf dem Platz unmittelbar neben der Kirche wiederholt gestört. Nach Aussage des Bürgermeisters Gottschalk in Gerwischkehmen wäre Pastor Schenk in Haft genommen worden, wenn er nicht zur Wehrmacht einberufen worden wäre (schriftliche Aussage des Landwirts Gustav Neumann in Gerwischkehmen vom 3. März 1947, beglaubigt vor dem Polizei-Revier der Stadt Hildesheim am 12. 3. 1947 durch den dortigen Polizeimeister. Das Original der Erklärung befindet sich in den Händen von Pfarrer Schenk). — Nach der Einberufung von Pfarrer Schenk zur Wehrmacht wurde die Abhaltung von Gottesdiensten und Amtshandlungen in der Ev.-luth. Kirchengemeinde Gerwischkehmen durch den Superintendenten und die Pfarrer von Gumbinnen, die nicht zur Wehrmacht einberufen waren, wahrgenommen. — Von 1733—1746 waren die Diakone in Gumbinnen gleichzeitig Pfarrer in Gerwischkehmen. 

Die Pfarrerliste erfaßt folgende Namen:

Stimer, Christian Friedr. 1746—1748. Sdiwenner, Johann Friedr. 1748—1751. Gazali, George Wilhelm 1752 bis 1755. Ulrich, Gottfried 1755—1808. Anderson, Job.. Heinr. 1789—1791 als Ad¬junkt. Krieger, Heinr. Ludwig 1719—1793 als Adjunkt. Hohlfeld, Joh. Friedr. 1794_1806 als Adjunkt. Hübsch, Heinrich 1806—1808 als Adjunkt und 1808—1811. Fleischmann, Carl 1812—1820. Schettler, Joh. Christoph 1820—1824. Ulrich, Christian Wilh. 1825—1866. Schieritz, Carl Wilhelm 1854—1856 als Adjunkt. Wachhausen, Carl Hdi. Ed. 1857—1865 als Adjunkt. Schiller, Ludwig. Fr. Edm. 1866 bis 1870. Kalinowski, Traug. Ed. Ph. 1871—1877. Unterberger, Carl Jacob 1877 bis 1878. Ammon, Aug. Bernh. Paul 1879—1886. Unterberger, Herrn. Aug. 1886 als Vertreter und 1887—1890. Haber, Rudolf Leop. Jul. 1890—1895. Winkel, Otto Julius 1895—1897. Kelch, Max Rud. Leop. Jul. 1897—1932. Schenk, Gerhard 1932—1945. Auch Tabelle „Stiftungsjahr der Kirchen in Litthauen gibt „Gerwischkemen 1730″ an.


Die Kirche ist ein verputzter Ziegelbau auf einem Feldsteinfundament ohne Kirchturm aus den Jahren 1803 bis 1805. Das Innere ist sehr einfach nach Art der ostpreußischen Einwandererkirchen.

Bilder 1 + 2 zeigen die Kirche außen – Bild 3 zeigt den Innenbereich mit Blick auf den Kanzel-Altar 1934

Zu Bild 3: Die Kirche ist geschmückt aus Anlass eines Kreisfestes der evangelischen Frauenhilfe, das in Gerwen gefeiert wurde. Das Wappen der evangelischen Frauenhilfe an der Kanzel – weißes Kreuz auf violettem Grund – ist aus Astern angefertigt worden.



Die aktuelle Situation

Während des 2. Weltkrieges war die Kirche 1945 Artelleriebeschuß ausgesetzt. Daran erinnert eine zugemauerte Bresche in der Ostmauer. Die Kirche wurde als Lagerhalle für Kunstdünger genutzt.
1989 wurde das Dach mit Asbestzementplatte gedeckt und die Sakristei abgerissen. Mit Ausnahmen wurden alle Fenster zugemauert, ebenso Ost- und Südeingang. Im Westen und Osten wurden quadratische Tore als Autoeinfahrten durchgebrochen. Im Süden wurde ein offener hölzener Schuppen angebaut.

Seit 1995 ist die Kirche nicht mehr genutzt. Die Siedlung ist stark verwahrlost.


Der Zustand 1994


Erlebnisse des Webmasters
Bei meinem Besuch im August 2005 habe ich die leerstehende Ruine besichtigt. Im Inneren ist ein Lehmboden, an den Wänden sind noch Reste von Wandbildern und Sprüchen zu erkennen. Eine Reiseteilnehmerin, die noch als Kind die Kirche als Gotteshaus erlebt hat, konnte uns die Sprüche vorlesen und die Bildmotive schildern.