Regierungsbezirk Gumbinnen


Regierungshauptstadt Gumbinnen und ihr Regierungsbezirk 

von Kurt Dieckert (Quelle: Gumbinnen von Dr. Grenz)

Vor dem alten Gumbinner Regierungsgebäude stand das Denkmal Friedrich Wilhelms I. Er hielt seine Hand gleichsam segnend über das Land ausgestreckt.

Der Name Friedrich Wilhelms I. war auf das engste verknüpft mit der Geschichte der Stadt und des Regierungsbezirks Gumbinnen. Dieser König erkannte die Bedeutung Ostpreußens und hatte mit bewundernswerter Energie und Arbeitskraft diesen verwüsteten und entvölkerten östlichen Teil seines Staatsgebietes in wenigen Jahrzehnten aufgebaut, bevölkert und zum Wohlstande geführt. Er schuf die Grundlagen, auf denen die späteren Generationen bis in die letzte Zeit weiter erfolgreich wirken konnten.

Die Regierung in Gumbinnen bestand seit dem 19. August 1736 als Kriegs- und Domänenkammer. Von 1723 ab war die Verwaltung des Bezirks von Kommissionen und Deputationen vorbereitet und geführt worden. Die Kriegs- und Domänenkammer Gumbinnen trat an die Stelle der früheren Hauptämter Insterburg, Tilsit, Ragnit, Oletzko und Angerburg. Sie wurde 1809 in eine „Königliche Litauische Regierung“ und 1816 in eine „Königliche Preußische Regierung“ umgewandelt.

In den Jahren des Wiederaufbaus des durch die Pest verwüsteten Bezirks wurden von 1722 bis 1726 Ragnit, Stallupönen (Ebenrode), Pillkallen (Schloßberg), Angerapp und Schirwindt zu Städten erhoben; bisher hatte nur Insterburg (1583), Tilsit (1552), Goldap (1570), Treuburg (Oletzko) (1560) und Angerburg (1571) Stadtrechte erhalten.

Nachdem 1818 eine teilweise andere Aufteilung einiger Kreise stattgefunden hatte, mussten 1905 zugunsten des neu gebildeten Regierungsbezirks Allenstein die Kreise Lötzen, Lyck, Johannisburg und Sensburg abgegeben werden. Es unterstanden der Regierung Gumbinnen danach noch die Kreise Treuburg, Angerburg, Goldap, Angerapp (Darkehmen), Insterburg, Stadt und Land Gumbinnen, Ebenrode (Stallupönen), Pillkallen (Schloßberg), Niederung (Elchniederung), Ragnit, Tilsit Stadt und Land und Heydekrug.

Nach dem Ersten Weltkrieg hat der Regierungsbezirk durch die Abtrennung des Memellandes die nördlich der Memel liegenden Teile der Kreise Tilsit und Ragnit sowie den Kreis Heydekrug an das von den Litauern unter den Augen der französischen Besatzung widerrechtlich besetzte Memelgebiet verloren.

Die südlich der Memel gelegenen Kreisteile von Tilsit und Ragnit wurden zu einem Kreis Tilsit-Ragnit mit dem Sitz in Tilsit zusammengelegt.

Bei der am 22. März 1939 erfolgten Wiedervereinigung des Memellandes mit Deutschland kamen auch die Stadt und der Landkreis Memel, früher zu Königsberg gehörend, zum Regierungsbezirk Gumbinnen. Die See- und Hansestadt Memel war die älteste Stadt Ostpreußens. Sie wurde 1252 vom Livländischen Schwertbrüderorden, einem Bruder-Orden des Deutschen Ordens, gegründet.

Die Gliederung der Regierung Gumbinnen war die gleiche wie im übrigen Preußen. An ihrer Spitze stand der Regierungspräsident. Die letzten der lebenden Generation noch bekannten Präsidenten waren Stockmann, von Braun, Gramsch, Graf Lambsdorf, Rosenkrantz und Rohde. Der Leiter der Abteilung I, allgemeine Angelegenheiten, war zugleich Regierungs-Vizepräsident. Diese Funktion führten nach dem Ersten Weltkrieg aus: Steinhoff, von Reedern, Ellinghaus, Kassier, Eichart. Der Abteilung II unterstand das Kirchen- und Schulwesen. Die letzten Abteilungsleiter waren Michallik und Theisen. Die Abteilung III betreute die Landwirtschaft und den Domänenbesitz, zuletzt unter den Regierungsdirektoren Mühlpford, Daum, Karbe und Frhr. von Ascheraden, der zum Schluss auch die Geschäfte des Regierungsvizepräsidenten führte.

Nach der Zerbombung Gumbinnens im Oktober 1944 verlagerte sich die verkleinerte Regierung nach Insterburg-Norkitten, um dann 1945 auf dem Fluchtweg über Köslin auf einem Wohnschiff in Husum letzte Abwicklungsarbeiten durchzuführen und sich dann aufzulösen.

Die wichtigsten Akten sind in Insterburg in russische Hände gefallen, die Bestände der Regierungshauptkasse konnten noch bis nach Königsberg geschafft werden und wurden der dortigen Regierungskasse übergeben.

Der Regierungsbezirk Gumbinnen war ein reiner Agrarbezirk. Die Landwirtschaft gab ihm das Gepräge. Der Ackerbau brachte durchschnittlich gute Ernten, die Viehzucht stand auf beachtlicher Höhe, die Trakehner Pferdezucht hatte Weltruf. Handel, Gewerbe und Handwerk hatten sich überwiegend auf die Interessen der Landwirtschaft eingestellt. Die Nahrungsmittelindustrie (Prang-Mühlen Gumbinnen, die Herstellung des weltberühmten Tilsiter Käses) zeigte eine ständige Aufwärtsentwicklung. In Tilsit und Ragnit gab es in den Zellstoffwerken einen anderen, an Bedeutung weit über den Regierungsbezirk hinausgehenden Industriezweig.

So war eine der Hauptaufgaben der Regierung die Förderung der Landwirtschaft und darunter die Verwaltung der staatseigenen Domänen und Forsten. Durch Erklärung der fürstlichen Schatullgüter zu Staatsgütern durch Friedrich Wilhelm I. wuchs der Domänenbesitz in Ostpreußen derart an, dass damals fast vier Fünftel des ländlichen Grund und Bodens unter staatlicher Kontrolle stand. Hierdurch war eine großzügige Ansetzung von Siedlern gewährleistet, was besonders den 1732 eingewanderten Salzburgern zugute kam.

Die letzten Aufsiedlungen von staatlichen Domänen fanden nach dem Ersten Weltkrieg statt, so dass sich 1945 der ehemals so umfangreiche fiskalische Besitz nur noch auf die nachstehend aufgeführten Domänen beschränkte:
Schulzenwalde, Kr. Gumbinnen, Pächter: Stahl 429 ha. Grünweiden, Kr. Gumbinnen, Pächter: Igogeit 640 ha. Angereck, Kr. Gumbinnen, Pächter: Hesselbarth 1015 ha. Zweilinden, Kr. Gumbinnen, Pächter: Böhnke 883 ha. Saalau, Kr. Insterburg, Pächter: Girod 163 ha. Dingelau, Kr. Angerapp (Darkehmen), Pächter: Lippold 997 ha. Königsfelde, Kr. Angerapp (Darkehmen), Pächter: Helbing 415ha. Jürgenfelde, Kr. Angerapp (Darkehmen), Adm.: Rugenstein 467ha. Uhlenhorst, Kr. Angerapp (Darkehmen), Adm.: Brandstätter 363 ha. Junkerwald, Kr. Ebenrode (Stallupönen), Pächter: Schulz 751 ha. Bruchhöfen, Kr. Ebenrode (Stallupönen), Pächter: Teschke 108 ha. Hornbruch, Kr. Ebenrode (Stallupönen), Pächter: Eggert 137 ha. Sodargen, Kr. Ebenrode (Stallupönen), Pächter: Mentz 681 ha. Kohlau, Kr. Goldap, Pächter: Brockmann 160 ha. Klein-Schwalg, Kr. Treuburg (Oletzko), Pächter: Killnow (? ha). Teichwalde, Kr. Treuburg, Pächter: Borcinski 150 ha. Drosten, Kr. Treuburg (Oletzko), Pächter: Lingnau 200 ha. Jägerswalde, Kr. Schloßberg (Pillkallen), Pächter: Hübner 435 ha. Grumbkowsfelde, Kr. Schloßberg (Pillkallen), Pächter: Früchte 602 ha. Löbenau, Kr. Schloßberg (Pillkallen), Pächter: Kröning 354 ha. Rehwalde, Kr. Schloßberg (Pillkallen), Pächter: Igogeit 214 ha. Derschau, Kr. Schloßberg (Pillkallen), Pächter: Pfuhl 646 ha. Zenthof, Kr. Schloßberg (Pillkallen), Pächter: von Lewinski 721 ha. Lobinnen, Kr. Schloßberg (Pillkallen), Pächter: Schneller 866 ha. Hüttenfelde, Kr. Tilsit-Ragnit, Pächter: Höhler 815 ha.

Zum preußischen Staatsbesitz gehörten ferner: das Hauptgestüt Trakehnen mit Vorwerken unter Landstallmeister Ehlert, das Gestüt Georgenburg mit Zwion unter Landstallmeister Heling, die Mooradministration Bismarck mit dem Rupkalver- und dem Augstumalmoor — Moorvogt Bromme.

In ähnlicher Weise wie der Umfang der Domänen war im Laufe der Jahrhunderte auch der staatliche Waldbesitz zurückgegangen. Von der ehemaligen urwaldähnlichen Wildnis waren nur einzelne Waldinseln zurückgeblieben. Größere zusammenhängende Waldgebiete bildeten noch die Memelforsten, die Rominter Heide und die Rothebuder Forst. Nachstehend sind die zum Bezirk gehörenden Forsten aufgeführt. Wie bereits im Ersten Weltkrieg, so haben die Forstbeamten auch im Zweiten Weltkrieg einen besonders hohen Blutzoll, meist bei der Verteidigung Ostpreußens 1945 bringen müssen.

Der Regierungsbezirk Gumbinnen weist sowohl in seiner Bodenstruktur als auch in seiner volkstumsmäßigen Zusammensetzung eine Vielgestaltigkeit auf, wie sonst wohl kein anderer Bezirk Deutschlands. Was hinsichtlich der Bevölkerung bereits für den Kreis Gumbinnen gesagt wurde, gilt für den ganzen Bezirk mit der Maßgabe, dass in den südlichen Kreisen der masurische Einschlag stärker auftritt. Die tolerante Einstellung der preußischen Könige gegenüber den völkischen Eigenarten und dem Sprachgebrauch ließ ein Nationalitätenproblem gar nicht erst aufkommen. Wer dort lebte und wirkte, fühlte sich in erster Linie als Preuße und Deutscher, trotz der unleugbaren Tatsache einer Volkszusammensetzung von Nieder-, Ober- und Mitteldeutschen, von Salzburgern, Schweizern und Holländern, von Litauern und Masuren. Nur so ist auch das einstimmige Bekenntnis für Deutschland zu verstehen, das z. B. der Kreis Treuburg am 11. Juli 1920 abgab, der zum masurischen Abstimmungsgebiet gehörte, wobei nur zwei Stimmen für den Anschluss an Polen abgegeben wurden. Es kann kein Zweifel herrschen, dass bei einer Abstimmung im Memelland, die von den Siegermächten trotz des verkündeten Selbstbestimmungsrechtes der Völker nicht zugelassen wurde, ein ähnliches Ergebnis erzielt worden wäre. Jeder, der die Grenze Ostpreußens nach Polen oder Litauen überschritt, wurde sich des tief gehenden kulturellen Unterschiedes bewußt. Man hatte stets den Eindruck, dass jenseits der Grenze Europa aufhörte.