Synagoge
Die jüdische Gemeinde in Gumbinnen
von Dr. phil. Rudolf Grenz
Die Regierungshauptstadt und Kreisstadt Gumbinnen gehört zu den wenigen Städten Ostpreußens, in denen sich jüdische Einwanderer schon verhältnismäßig früh niederließen, allerdings noch nicht so früh wie in Königsberg, wo den Juden seit 1680 das Halten einer Betstube gestattet war, und mit einem Erlass des Königs vom 25. Oktober 1703 die Anlegung eines Bestattungsplatzes. Im Jahre 1713 kam der Rabbiner Salomon Fürst nach Königsberg, und 1720 erhielt J. M. Friedländer das Recht, hebräische Bücher einzuführen und in Königsberg und auf den Jahrmärkten in Tilsit und Memel zu verkaufen. In Tilsit werden ebenso wie in Memel häufig zu sehr früher Zeit Juden erwähnt, die hier Träger des polnisch-litauischen Handels waren, so in Memel 1682.
Im Jahre 1767 legten die Juden in Gumbinnen eine Betstube und einen Begräbnisplatz mit obrigkeitlicher Erlaubnis an. Die erste Leiche, „mit der der Begräbnisplatz eingeweiht wurde, war die eines Handelsmannes C. Kiewe aus Krojanke, der zum Besuch des Darkehmer Jahrmarkts gekommen war“ (M. Friedeberg). Im übrigen haben sich die jüdischen Einwanderer der Gemeinden Gumbinnen und Tilsit vorwiegend aus den posenschen und westpreußischen Städten Krojanke, Flatow, Tütz u. a. rekrutiert. Friedeberg bemerkt dazu 1886, dass Gumbinnen und Tilsit neben Königsberg die einzigen Städte in Ostpreußen sind, deren jüdische Begräbnisplätze bereits ein Alter von 100 Jahren überdauern. Die Juden schlössen sich in den Städten, so auch in Gumbinnen, zu „Beerdigungsgesellschaften“ zusammen, die auf Hebräisch „Chewra Kedischa„, heilige Gemeinschaft, hießen. Es waren nur Männer in ihr tätig. Diese Gesellschaft führte auch Personalakten und feierte ein jährliches Stiftungsfest. Die Judenschaft erfreute sich der besonderen Unterstützung Friedrichs des Großen, der sie mit der Begründung in Schutz nahm, dass sie den Handel über die Grenzen in Gang brächten. Der Staatshaushalt hatte davon seinen Vorteil. In Gumbinnen besorgten die jüdischen Kaufleute den Absatz der neu entstandenen Tuchindustrie nach Polen. Als dann jedoch in Lodsch eine Tuchindustrie für Polen entstand, stockte der Absatz, und die jüdischen Kaufleute, die sich außerdem nach dem Tode Friedrichs des Großen nicht mehr in gesicherter Position sahen, scheinen zum Teil abgewandert zu sein. So lebten nach einer Aufstellung vom Jahre 1780 nur noch zwölf jüdische Einwohner in Gumbinnen. Später ging die Zahl anscheinend noch weiter zurück, denn der Gumbinner Geschichtsschreiber Gervais, dem übrigens die Blütezeit des Judentums in Gumbinnen um die Mitte des 18. Jahrhunderts gar nicht mehr bewusst gewesen zu sein scheint, berichtet im Jahre 1818: „Bis zur Erscheinung der neuen Städteordnung existierte in dieser Stadt nur ein einziger Schutzjude. Seit dieser Zeit können sich aber auch hier so viel Juden etablieren, als da wollen. Bis jetzt hat sich die Zahl der Judenfamilien auf sechse vermehrt, die als wirkliche Bürger ansäßig sind. Gegen ihre Ansäßigkeit hat zwar auch die Bürgerschaft protestiert, aber ohne Erfolg, denn das Gesetz, das Judenthum dem Christenthum näher zu bringen, nimmt sie in Schutz.“
Eine Belebung erfuhr das Judentum, das früher mannigfachen Bedrückungen ausgesetzt war, durch das Edikt vom 11. März 1812, durch das ihnen im preußischen Königreich der Genuss bürgerlicher Rechte zugesichert wurde. Dafür beteiligten sich viele Juden freiwillig am Kampfe Preußens gegen Napoleon.
Eine weitere Festigung erfuhr die Judenschaft durch das Gesetz über die Bildung von Synagogengemeinden vom 23. Juli 1837, das ihnen erlaubte, Mittelpunkte ihrer Geisteskultur zu schaffen. Dennoch aber kam es zur Errichtung einer Synagoge in Tilsit erst 1842. Wann die Synagoge in Gumbinnen entstand, kann nicht geklärt werden, aber vermutlich erst nach der von Tilsit, wo eine zahlenmäßig bedeutend stärkere Judenschaft bestand. Nach Auskunft von Gumbinner Bürgern war die Gumbinner Synagoge in der Langen Reihe „ein sehr altes Gebäude, das lange vor 1870 erbaut worden sein muß„. Es ist also durchaus denkbar, dass es sich um die 1767 eingerichtete Betstube handelte, die bei Zunahme der jüdischen Einwohnerzahl in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts in eine Synagoge umgewandelt wurde. Jedenfalls gegen Ende des 19. Jahrhunderts und bis zum Ersten Weltkrieg gehörte die jüdische Gemeinde von Gumbinnen zu den 45 Gemeinden, die im Verbände der Synagogengemeinden Ostpreußens zusammengeschlossen waren. Aber als Gemeinden, in denen Rabbiner wirkten, werden nur Allenstein, Insterburg, Königsberg, Memel und Tilsit genannt. Es hat anscheinend eine spätere Entwicklung nach der Jahrhundertwende zu einer Vermehrung von Rabbinerstellen in der Provinz geführt, denn nach Aussage von Gumbinner Einwohnern war (bis etwa 1940) an der Synagoge von Gumbinnen ein Rabbiner namens Wasser tätig. Viele haben ihn noch in Erinnerung, wie er mit seinem schwarzen Talar bekleidet zur Durchführung der rituellen Schächtung zu einer Fleischerei in der Stadt ging (Fleischerei Theodor Kosack, Königstraße 34). Das Gumbinner Adressbuch von 1925 verzeichnet einen Rabbiner Jaffee (Mendel Jaffe, Kultusbeamter, Brauereistraße 23). Als Ältester im Ältestenrat und Verwalter der Synagoge diente seiner Gemeinde der Textil- und Kurzwarenhändler Jakob Lindenstraus, der sein Kaufhaus in der Königstraße l hatte (gegründet 1883) (zusätzlich mit Spiel waren- und Sportartikel-Abteilung). Besonderes Ansehen genoss der jüdische Textilkaufmann Lück, der als erfolgreicher Mittelläufer beim 1. FC Preußen die Fußball-Liebhaber der damaligen Zeit begeisterte. Weiterhin ließen sich als jüdische Mitbürger in Gumbinnen ermitteln: Heinz Rubenstein, Manufakturwarengeschäft in der Königstraße 18; Louis Dembinsky, Großtextilgeschäft (Firma Dembinsky und Söhne) in der Königstraße 6, gegründet im September 1907; Eugen Gerson, Pferde- und Altmaterialhändler (1925: Kaufmann) in der Friedrichstraße 13; Heinrich Moses, Damen-, Herrenkonfektion und Schuhwaren; J. Katzki (Inh.: Edit und Kurt Katzki), Herren- und Knabenbekleidung und Schuhwarengeschäft, Königstraße 9, gegründet 1897; Glaser, Wilhelmstraße; Patz Jacob, Friedrichstraße; Hirsch Wartelski, Händler (Altmaterialhändler, Knochen und Lumpen), Goldaper Straße 13, von dem eine Tochter heute in Tel Aviv lebt; Samuel Konitzki, Produktenhändler, Wilhelmstraße 24; Wilhelm Konitzki, Produktenhändler, Goldaper Straße 22; Louis Brasch, Kaufmann, Königstraße 14, nach den USA ausgewandert; schließlich gab es drei Brüder Brilling, von denen Abraham Brilling, der älteste, in der Meiserstraße eine Pferdehandlung hatte (nach Adressbuch 1925 Kaufmann in der Bismarckstraße 24); dieser galt als der vornehmste in der Gumbinner Judenschaft und machte sein Haus zum Treffpunkt der jüdischen Einwohner der Stadt. Max, Isidor und Otto Brilling wurden 1925 als Pferdehändler geführt. Ferner sind noch zu erwähnen der Kaufmann Max Rodominski und der Kaufmann Louis Wolf (Dammstraße 6). Ersterer wohnte in der Königstraße 28 und hatte im Ersten Weltkrieg das Eiserne Kreuz I. Klasse erworben. Bei ihm entstand so ebenfalls ein Treffpunkt der örtlichen Judenschaft. Außerdem führt das Einwohnerbuch von 1925 einen Kaufmann Sally Rodominsky, Königstraße 33 und eine Hausbesitzerin Rahel Rodominsky, Königstraße 33.
Die Schrecken der NS-Zeit gingen an unserer jüdischen Gemeinde nicht vorbei. In der sog. Reichskristallnacht vom 9. zum 10. November 1938 wurde das allein stehende Gebäude der Synagoge durch SS in Brand gesteckt. Feuerwehr war zum Abschirmen der nahen Regierungsgebäude eingesetzt. Die meisten jüdischen Mitbürger ergriffen daraufhin die Flucht und wandten sich nach Polen und Litauen; nur wenige, meist ältere Leute, blieben zurück. Im Jahre 1940 wurden die letzten jüdischen Bürger aus der Provinz Ostpreußen nach Polen abtransportiert, so wahrscheinlich auch aus Gumbinnen. Welches Schicksal ihnen dort zuteil wurde, wissen wir heute und stehen noch nach 25 Jahren fassungslos vor diesem Ausbruch des Wahnsinns.
Im folgenden wollen wir anhand der Volkszählungsergebnisse die Entwicklung des jüdischen Bevölkerungsanteils im Kreise Gumbinnen seit 1870 darstellen.
Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1871 ergeben sich für Stadt und Kreis Gumbinnen folgende jüdische Bevölkerungszahlen:
In der Regierungs- und Kreisstadt lebten 137 Juden, auf dem Lande in Karklienen 9, in Kollatischken 7, in Luschen 13, in Schmilgen 8, in Szuskehmen 2.
Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 188) ergeben sich folgende Zahlen für den jüdischen Bevölkerungsanteil:
In der Regierungs- und Kreisstadt Gumbinnen lebten 104 Juden, auf dem Lande in Adomlauken 5, in Karklienen 6, in Klein-Pruschillen 3, in Kollatischken 6, in Stobricken 7, in Warschiegen 2, in Pötschkehmen 8.
Nach der Volkszählung vom 2. Dezember 1895 ergibt sich folgendes Bild:
In der Regierungs- und Kreisstadt Gumbinnen lebten 110 jüdische Mitbürger, auf dem Lande in Augstupönen 12, in Jodzuhnen 5, in Karklienen 9, in Nemmersdorf 8, in Norutschatschen 1, in Sodinehlen 1, in Wilkoschen 8.
Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1905 liegen folgende Zahlen vor:
In der Stadt Gumbinnen lebten 106 Juden, von denen 104 deutsch sprachen. Auf dem Lande lebten in Kulligkehmen 6, von denen 5 deutsch sprachen, in Nemmersdorf 6, von denen 4 deutsch sprachen, in Norutschatschen (Vorort von Gumbinnen!) 49, die alle deutsch sprachen.
Nach der Volkszählung vom 16. Juni 1925 lebten in der Stadt Gumbinnen 198 jüdische Mitbürger, auf dem Lande in Brakupönen 1, in Dauginten 1, in Nemmersdorf 3, in Neu-Maygunischken 1, in Rosenfelde 1, in Samelucken 1, in Stannaitschen 2.
Als Gesamtzahl für Stadt und Kreis Gumbinnen ergibt sich: 1871: 176. 1885: 141. 1895: 154. 1905: 167. 1925: 208.