Erlengrund Ostpr.


Übersicht – Quelle: Gumbinnen von Dr. Grenz

Erlengrund Ostpr.

(Alt-Maygunischken) mit Gut Ernstberg, nebst Vorwerk Surminnen, mit Gut Marienhöhe nebst Vorwerk Wlömershof:

Kirchspiel Groß Waltersdorf (Walterkehmen). Amtsbezirk und Standesamtbezirk Schulzenwalde (Buylien). E.: 358. GH.: 900,— RM. G.: 688 ha. —

Zweiklassige Volksschule. Am 15.01.1897 ist die zweite Lehrerstelle in der LZ ausgeschrieben mit einem Jahreseinkommen von 650,— Mark, mit freier Wohnung und Feuerung. In der Ausschreibung vom 22.03.1905 ist die 2. Lehrerstelle mit 720 bzw. 900 Mark, 100 Mk. Alterszulage und Wohnung dotiert. Letztes Schulhaus vor 1914 erbaut. 1925: Lehrer Ed. Riel und Kurt Dziengel, 1937: Lehrer Eduard Riel (bis zur Vertreibung im Amt) und Helmut Temp. —
1937: Bürgermeister Landwirt Otto Schlaugat. —

Post: Buylien über Gumbinnen (15 km). —

Landwirte: Friedrich Bartel, Otto Bartel, Ludwig Fiedler, Franz Peyan, Friedrich Tonnius, Franz Weitowitz.

Auf Gut Ernstberg:
Landwirtin Hildegard Gramatke.
Auf Vorwerk Surminnen:

Landwirt Franz Neubacher. —

Handwerker: Schmiedemeister August Kendelbacher, Schmied Erich Kendelbacher, Stellmacher Otto Simoneit, Schuhmacher Karl Wessolowski, Schmied Fritz Worat.

Auf Gut Marienhöhe:

Maurer Emil Nehrkorn, Schmied Fritz Pukies. —

1925 – Alt-Maygunischken:

2 Schmiede, 1 Maurer, 1 Tischler, 1 Stellmacher. —

1937:
Weitere Berufe: Hebamme a.D. Anna Britt, Landw.-Gehilfe Otto Rothaupt, Kutscher Franz Rudan, Gastwirt Fritz Thieler, ferner 3 Arbeiter und 1 Freiarbeiter, 1 Altsitzer und 2 Witwen. —
Im Ortsteil Gut Ernstberg: 1 Landarbeiter Otto Bodenbinder, 1 Melker, Willi Dirßuweit, ohne Berufsangabe Minna Engelhardt, 1 Rentnerin Emilie Jenett, 2 Arbeiter Heinrich Käding und August Leichert. —

Im Ortsteil Gut Marienhöbe: 1 Melkermeister Bernhard Balewski, 1 Kutscher Fritz Bewersdorf, 1 Rentner Johann Bewershof, 1 Inspektor Walter Bönig, 1 Rentenempfänger Friedrich Dörfert, 1 Deputant Fritz Dörfert, 1 Deputant Fritz Heinrich, 1 Deputant Max Heß, 1 Rentenempfängerin Wilhelmine Josteit, 1 Hofgänger Fritz Kian, 1 Gespannführer Karl Koch, 1 Melkergehilfe Bernhard Mergen, 1 Deputant Friedrich Nehrkorn, 1 Arbeiter Fritz Schaal, 1 Gespannführer Gustav Scholl, 1 Wirtin Auguste Szameitat, 1 Deputant Hermann Tonat, 1 Landwirt Ernst Wasserberg. —

Im Ortsteil Vorwerk Surminnen: 1 Melker Hermann Schell, 1 Arbeiter Karl Tolksdorf, 1 Deputant Otto Wiechert.

Im Archiv der Kreisgemeinschaft Gumbinnen 1 Ortsfragebogen von 1966.

Danach war die Schule zweiklassig und wurde von Lehrer Riel geleitet.

Letzter Bürgermeister war der Bauer Otto Schlaugat.

Der zuständige Polizeiposten befand sich in Bahnfelde (Jucknischken).

Gastwirt Thieler hatte gleichzeitig einen Kaufladen.

4 selbständige Handwerker lebten am Ort: Stellmachermeister Simoneit, Schmiedemeister Kendelbacher und Worat, Schuhmacher Wessolowski.

Die Bauern waren: Wasserberg (Gut Marienhöhe), Neubadier (Gut Surminnen), Kanopka (Ernstberg),

alle weiteren aus Erlengrund: Jankühn, Scheppokat, Feuersenger, Kowalewsky, Tengel, Brandstäter, Krök, Schlaugat, Tonius, Fiedler, Weber, Umardt, Bartel, Peyon. —

Im Ersten Weltkrieg 2, im Zweiten Weltkrieg 2 Gefallene. —

Im Archiv der Kreisgemeinschaft findet sich ein Fluchtbericht mit wichtigen Angaben zu den Vorfällen bei Nemmersdorf und Schulzenwalde (Buylien) von Otto Schlaugat, bei dessen Namen im Einwohnerbuch von 1937 keine Angaben über seinen Beruf gemacht werden.

Schlaugat führt aus:

„Am 8. Oktober 1944 bekamen die Bürgermeister des südlichen Teiles des Kreises vom Landratsamt und der NSV die Anweisung, Verpflegungsstellen einzurichten, sowie Nachtquartiere zu besorgen und, wo nötig, die Instandsetzung der Wege durchzuführen. Das erstere war kein Problem, die Meiereien mußten Molkereiprodukte liefern, Helferinnen waren zur Stelle und die Trecks des Nachbarkreises Stallupönen (Ebenrode) konnten reichlich versorgt werden. Schwieriger war schon das Herrichten von Nachtquartieren, da die unterzubringende Anzahl von Menschen und Tieren vorher nicht feststellbar war. Doch da das Wetter günstig war, konnten auch Übernachtungen im Freien stattfinden. Katastrophal wurde der Zustand der Wege. Den unzähligen Fuhrwerken und der oft ganz unvernünftigen Beladung einzelner Wagen war die Kiesschicht — und um Kieswege handelte es sich — nicht gewachsen und Rad- und Achsenbrüche waren an der Tagesordnung. —
Erst am 20. Oktober schlug auch unserer Gemeinde Erlengrund die Stunde. An diesem Freitag herrschte morgens dichter Nebel, und an ein Fortziehen oder -trecken dachte niemand. Alles ging seiner Beschäftigung nach. In vielen Haushaltungen war man beim Schlachten. Da plötzlich gewaltiges Motorengeräusch — kein Flugzeug wird gesichtet! Dann schwere Einschläge. Sollte etwa Gumbinnen erneut bombardiert werden? Das kann nicht sein. Eine Nachbarin ruft mich telefonisch an und bittet mich, herüberzukommen. Der Hof liegt an der Hauptstraße Groß-Waltersdorf — Schulzenwalde (Buylien). Die Straße ist verstopft mit Autos, Militär und Zivilfahrzeugen. Berittenes Militär zu beiden Seiten der Chaussee. Alles versucht und eilt, um in Richtung Schulzenwalde weiterzukommen. Der Wirrwarr ist unbeschreiblich, „Macht, daß ihr fortkommt, worauf wartet ihr noch?“, ruft man uns zu. Zivilisten, verstört und verängstigt, erzählen, daß russische Panzer in Groß-Waltersdorf eingerückt sind — 4 km von uns entfernt. Ein Räumungsbefehl liegt nicht vor. Was ist zu tun? Telefonisch benachrichtige ich Inhaber von Anschlüssen. Andere werden durch Boten aufgefordert, einzeln zu trecken. Es ist höchste Gefahr im Verzüge. Schon schlagen die ersten Artilleriegeschosse aus Richtung Groß-Waltersdorf ein. Gemeindetrecks zusammenzustellen, wie ursprünglich beabsichtigt, ist nun nicht mehr möglich. Informationen vom Landsratsamt oder der Kreisleitung einzuholen, gelingt ebenfalls nicht mehr, da Bombenangriffe russischer Flugzeuge tags zuvor auf die Kreisstadt jede Telefonverbindung unterbrochen haben. Während nun in den Familien und Haushaltungen in größter Überstürzung gepackt und zusammengerafft wird, was gerade in greifbarer Nähe liegt, kommt durch Eilboten der Befehl, Frauen und Kinder der Gemeinde mit Fuhrwerken nach dem Bahnhof Bahnfelde (Jucknischken) zu bringen, wo im Laufe des Tages oder zur Nacht ein Räumungszug eintreffen soll. Was es bedeutete, in dieser Situation Wagen zu stellen, braucht wohl nicht erwähnt zu werden. Immerhin, es gelang! Der in Aussicht gestellte Räumungszug jedoch blieb aus; doch konnten die Betroffenen noch in letzter Minute einen Güterzug nach Angerapp (Darkehmen) besteigen und somit dem Zugriff der Russen entgehen. Es war später Nachmittag, als die letzten Treckwagen unseren geliebten Heimatort Erlengrund (Alt-Maygunischken) verließen. Erwähnen möchte ich noch, daß durch die Abwesenheit einer Betriebsführerin, die nichtsahnend an diesem Tage nach der Kreisstadt gefahren war, durch ihre verspätete Rückkehr dem Treck dieses Betriebes die rettende Flucht nicht mehr gelang. Als diese Wagen in die Nähe der Gastwirtschaft Thieler gelangten, waren plötzlich russische Panzer da. Allerdings pelan? es den Frauen und Männern, sich im Schütze der Finsternis und weil sie ortskundig waren, vor dem sicheren Tode zu retten. Ein Fremdarbeiter wurde erschossen und vor den Panzer geworfen. Ein langjähriger Arbeiter jenes Betriebes hielt sich tagelang in einer Mulde verborgen und wurde erst vom deutschen Militär nach dem Zurückdrängen des Feindes befreit.
Bevor einige führende Männer der Gemeinden — Bürgermeister, Bauernführer, NSV-Obmänner etc., die strikte Anweisung hatten, bis zum letzten auszuharren — ihre Dörfer verließen, waren abgelegene Gehöfte, Schonungen, Waldungen längst von Russen besetzt. Als beispielsweise der Oberinspektor der Domäne Schulzenwalde (Buylien) durch den Gutspark nach dem Pferdestall schritt, um sein Reitpferd zu satteln, hörte er bereits russische Kommandos. Beim Lichtmachen im Stall grüßten ihn die „Befreier“ mit einer Maschinengewehrsalve durch das Fenster. —
Teiltrecks, auch einzelne Fahrzeuge befanden sich nun auf dem Wege nach Gerdauen, da dieser Ort vorerst zur Aufnahme des Kreises Gumbinnen vorgesehen war. Durch besondere Umstände konnte die vorgeschriebene Treckroute über Nemmersdorf nicht eingehalten werden, und somit entgingen viele Bewohner meiner Gemeinde dem Blutbad in jenem Ort.
Am Sonntag, dem 22. Oktober, hatte sich dann doch wieder der größte Teil der Einzelfuhrwerke in der Nähe von Gerdauen zusammengefunden, und es wurde uns der Ort Lieskendorf als vorübergehender Aufenthaltsort zugewiesen. Doch auch hier war unseres Bleibens nicht lange. Es mußte weitergetreckt werden. Der Kreis Osterode war unser nächstes Ziel. In aller Frühe des 29. Oktober ging es in Richtung Klinthenen. Die Unterbringung war schwierig, weil durch widersprechende Anordnung mehrere Flüchtlingsgemeinden in einunddemselben Ort untergebracht werden mußten. Anders war es in den folgenden Nachtquartieren am 31.10. in Dietrichsdorf und am 1. und 2. November in Falkenau, wo man nichts unterließ, uns das schwere Los in jeder Hinsicht zu erleichtern (Wo mag besonders Herr Arndt, unser damaliger Gastgeber, stecken?). In Dietrichsdorf erkrankte unsere Lehrerwitwe Frau Riel schwer, und wir mußten sie zunächst zurücklassen. In Geierswalde, unserer vorläufigen Endstation, ist sie dann wieder zu uns gestoßen.
Die Nächte zum 3. und 4. November verbrachten wir in den Städtchen Bischofsstein und Seeburg. Ein großes Strohlager in der Schule war unser gemeinsames Schlafzimmer. Alt-Wartenburg, Dietrichswalde und Hohenstein waren unsere nächsten Stationen. Überall hat man alles Menschenmögliche getan, uns wenigstens für Stunden alles Schwere vergessen zu lassen. In Hohenstein waren wir Gäste einer Wehrmachtsabteilung. In vorbildlicher Weise wurden wir bewirtet. Am Nachmittag gingen wir dann gemeinsam zur Ruhestätte unseres großen von Hindenburg, dem Tannenbergdenkmal. Es war ein letztes Abschiednehmen vom Genius des Vaterlandes.
Am nächsten Tage landeten wir dann in Geierswalde, Kreis Osterode. Die wehrfähigen Männer verließen nach einigen Tagen die neue Heimat, um beim Volkssturm in Kanthausen Dienst zu tun. Unsere Frauen und Familien waren dort gut untergekommen; jedoch war die Ruhe auch wieder von kurzer Dauer. Von Kanthausen aus ist es mir noch einige Male möglich gewesen, mein geliebtes Erlengrund (Alt-Maygunischken) aufzusuchen. Doch wie fand ich es vor! Zu 98 Prozent lag der Ort in Schutt und Asche. Die Russen hatten auf ihrem Rückzug ganze Arbeit geleistet. —
Doch ich möchte meinen Bericht nicht schließen, ohne all der Toten zu gedenken, die am 20. Oktober und in den folgenden Tagen bestialisch ermordet wurden. Ich befand mich das letzte Mal in meinem zerstörten Heimatdorf, als man dabei war, vier Tote, die gegenüber der Schule ihr Grab gefunden hatten — ermordet am Abend des 20. Oktober — umzubetten. Es handelte sich um Herrn Hobeck aus Praßfeld nebst Frau und Schwiegereltern. Ein Toter, der zwischen der Schule und der Schmiede Kendelbacher lag, konnte nicht mehr identifiziert werden. Zu beiden Seiten der Straße Bahnfelde (Jucknischken)— Schulzenwalde (Buylien) fand man zahlreiche kleine Hügel, unter denen leicht verscharrt Deutsche und auch Ausländer beiderlei Geschlechts und jeden Alters ruhten. Oft ragten Schuhzeug, Arme, Köpfe etc. heraus. Viele Gräber lagen in Wusterwitz (Alt- und Neu-Wusterwitz Ortsteile von Schulzenwalde (Buylien), wo mehrere Girner hingemordet waren. Wenn ich mich recht entsinne, sind aus der Gemeinde Girnen über 30 Menschen erschlagen, verschleppt, verschollen. In Lut-zen sah ich ein Massengrab für Italiener. Man sprach auch davon — ich habe es selber nicht gesehen — daß aus dem Seydakschen Torfbruch (Brauersdorf (Karklienen)) mehrere Leichen, meist Franzosen, herausgezogen worden sind. —

Ob wir unser Ostpreußen nochmals wiedersehen werden? Wohl niemand kann eine Antwort darauf geben. Legen wir unser Geschick in die Hände dessen, der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn.“