Quelle des nachfolgenden Textes ist der Gumbinner Heimatbrief Nr. 123 – 2/2013

1954 – 2014

60 Jahre Patenschaft zwischen der Kreisgemeinschaft Gumbinnen und der Stadt Bielefeld

Vor nunmehr 65 Jahren fanden sich Gumbinner im Norden der Bundesrepublik, die einen Kreis von Gleichgesinnten bildeten. Aus dieser Gruppe entstand später die Kreisgemeinschaft Gumbinnen e.V. Leider liegen derzeit keine genauen Angaben vor, was sich in der Zeit von 1948 bis zur juristisch nachweisbaren Gründung im Jahre 1955 getan hat.

Die Vertriebenen waren in alle Richtung verstreut, eine gemeinsame Basis im administrativen Sinne nicht vorhanden. Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahmen deshalb westdeutsche Städte und Kreise für die in den Heimatkreisgemeinschaften sich organisierenden Vertriebenen die Patenschaft. Der Gedanke, für vom Krieg betroffene ostdeutsche Städte Patenschaften zu übernehmen, basiert auf einer guten Tradition aus dem Ersten Welt­krieg. Im Deutschen Reich entstand 1914 auf Anregung des Freiherrn von Lüdinghausen die „Ostpreußenhilfe“. Kriegshilfsvereine in Städten und Provinzen übernahmen für ostpreußische Städte und Kreise Paten­schaften, um deren Wiederaufbau nach dem Russeneinfall mit Geld- und Sachspenden zu unterstützen. Auch die Kreisgemeinschaft Gumbinnen fand mit Bielefeld eine Stadt, die die Patenschaft übernahm.

Am 28.04.1954 hatte der Rat der Stadt Bielefeld unter dem Vorsitz von OB Dr. Kohlhause die Patenschaft mit dem Kreis Gumbinnen einstimmig beschlossen.

Mit der Patenschaftsurkunde vom 15.05.1954 (s. Umschlagseite vorne), die auch vom damaligen Oberbürgermeister Dr. Kohlhase unterschrieben war, bekundete der Rat der Stadt Bielefeld mit seinem Beschluss den Willen

  • das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit mit den Heimatvertriebenen in Anknüpfung an das geistige Erbe des deutschen Ostens zu vertiefen,
  • den Heimatvertriebenen des Kreises Gumbinnen eine Stätte zu bieten, an der sie das Andenken an ihre verlorene Heimat lebendig erhalten kann und
  • bemüht zu sein, an der Überwindung besonderer Notstände unter den Heimatvertriebenen Gumbinnens mitzuwirken.

Bis es aber soweit war, mussten noch einige Hürden überwunden  werden. Auf der Homepage der Stadt Bielefeld unter dem Link: http://www.bielefeld.de/de/biju/stadtar/rc/rar/01052009.html#top ist nachfolgend abgedruckter Text zu finden:

“…… Nach dem Zweiten Weltkrieg fanden Flüchtlinge und Vertriebene aus den früheren deutschen Gebieten im Osten in der Stadt am Pass des Teutoburger Waldes Aufnahme. Bis April 1946 waren 14 Transporte aus dem Osten eingetroffen. Am 31. Juli 1952 lebten in Bielefeld über 34.000 Flüchtlinge und Vertriebene. Ihr Anteil an der städtischen Gesamtbevölkerung betrug damals überdurchschnittliche 20,8 Prozent, der Landesdurchschnitt lag bei 11 Prozent. Und dennoch appellierte Bielefelds erster Nachkriegsbürgermeister Artur Ladebeck an die Bevölkerung: „So arm wir auch alle sein mögen, eines ist uns geblieben, die Bereitschaft zur Hilfe und der ernste Wille, daß niemand in seiner Not alleinstehen darf.” Die Ernährungs- und Wohnverhältnisse waren in der zu fast 40 Prozent zerstörten Stadt ohnehin prekär. Unter anderem am Kammermühlenweg entstanden neue Wohnungen für Vertriebene, so dass die Sammellager nach und nach aufgelöst werden konnten. Es blieben indes zunächst Integrationsprobleme gerade für die jugendlichen Vertriebenen sowie Schwierigkeiten bei der Existenzgründung und Arbeitsplatzsuche.

Anfang der 1950er Jahre trafen in Bielefeld wiederholt Anregungen und Anträge für Patenschaftsübernahmen für andere Städte und Kreise im vormals deutschen Osten ein: 1951 für Striegau, 1952 für den Kreis Schweidnitz und für Insterburg, 1953 für Lyck und Rastenburg. Der Zuschlag ging jedoch an Gumbinnen, das 1951 erstmalig vorgeschlagen und im Juli 1953 durch die Landmannschaft Ostpreußen offiziell beantragt worden war.

Das Engagement des Paten Bielefeld stellte sich der Vorsitzende der Kreisgemeinschaft Gumbinnen, Hans Kuntze (Hamburg), wie folgt vor: Angebote von Lehrstoffen und Büchern über den deutschen Osten und insbesondere Gumbinnen in Volkshochschule und Stadtbücherei, Räumlichkeiten für ostpreußische Lesestudien, öffentliche Tafeln/Hinweise auf Gumbinnen in Schulen, städtischen und anderen öffentlichen Gebäuden, Unterstützung kultureller Veranstaltungen vertriebener Künstler und Wissenschaftler, Stipendien und Ausbildungsbeihilfen für begabte Jugendliche und Unterstützung bedürftiger Jugendlicher aus Gumbinnen, Unterstützung der Heimatortskartei und des Kreisarchivs sowie von Veranstaltungen der Kreisgemeinschaft und schließlich Hilfen bei der Eingliederung Vertriebener in Arbeit. Über diesen „Wunschzettel” der Kreisgemeinschaft verhandelten seitens der Stadt Kulturdezernent Paul Jagenburg und Dr. Walter Grajetzky Ende 1953 mit den Vertretern der Kreisgemeinschaft, Kuntze und Roderich Walther, dem ehemaligen Gumbinner Landrat. Nachdem der Bielefelder Hauptausschuss am 12. Oktober 1953 für eine Patenschaftsübernahme votiert hatte, folgte der Rat am 28. April 1954 dieser Empfehlung und beschloss einstimmig, eine Patenschaft Bielefelds zunächst für die Stadt Gumbinnen.

Dass die Stadt Bielefeld eine Patenschaft über den Kreis Gumbinnen übernahm und nicht allein über die Stadt, war dem Zögern des Kreises Bielefeld zuzuschreiben, der sich noch nicht erklärt hatte. Im Oktober 1953 nämlich hatte die Stadt Bielefeld dem Kreis vorgeschlagen, parallel eine Patenschaft über den Kreis Gumbinnen zu übernehmen. Eine Beschlussfassung des Bielefelder Kreisausschusses verzögerte sich, obwohl die Presse bereits am 22. Januar 1954 berichtete, dass sich auch der Kreis beteiligen werde. Dem Kreis missfiel das ohne Zustimmung erfolgte und als bevormundend empfundene Vorpreschen der Stadt und der Kreisgemeinschaft. Die Zeit drängte: Mitte März 1954, also zwei Monate vor den vereinbarten Feierlichkeiten, wandte sich Kuntze an Jagenburg: „Leider höre ich nichts vom Landkreis”.

Dort schlugen die Wellen bei der Sitzung des Kreisausschusses am 20. April 1954 hoch. Die Kreisverwaltung hatte inzwischen festgestellt, dass die Landmannschaft Ostpreußen mit den kommunalen Spitzenverbänden die Verteilung der Patenschaften regelrecht ausgehandelt hatte: „Ein spezieller Grund für die Übernahme der Patenschaft für die Stadt Gumbinnen ist nicht ersichtlich.”, so Oberkreisdirektor Helmut Schütz. Die Mitglieder des Kreisausschusses debattierten über die beschädigte eigene Entscheidungshoheit, über die unkalkulierbaren Kosten, sahen eher eine Verpflichtung gegenüber den im Kreisgebiet stark vertretenen Vertriebenen aus Schlesien, befürchteten eventuell „keine innere Verbindung” und meinten, dass die Landmannschaften „nur noch den Heimatgedanken und nichts anderes mehr kennen”. Landrat Franz Specht hatte auch von Kuntze keine klare Antwort auf die Pflichten einer Patenschaft erhalten, so dass im Plenum vermutet wurde, die Stadt Bielefeld habe die Patenschaft „in ihrer Auswirkung noch nicht erkannt”. Offensichtlich knisterte es hier auch zwischen Landrat Specht und Oberkreisdirektor Schütz: Letzterer erinnerte ausgleichend an die Verlegenheit der Stadt Bielefeld, wenn der Kreis nicht mitziehe. Specht dagegen reagierte empfindlich auf die städtischen Beschlüsse und meinte, dass die Stadt Bielefeld nach ihrer Zusage „zusehen muß, wie sie fertig wird. Durch die Machenschaften der Stadt Bielefeld kann sich der Kreisausschuß in seiner Beschlußfassung nicht beeinflussen lassen.” Folgerichtig einigte sich das Gremium darauf, die Stadt Bielefeld zu „veranlassen”, die Doppelpatenschaft über Kreis und Stadt Gumbinnen zu übernehmen, allenfalls wolle man vorbehaltlich der Zustimmung des Kreistages 500 DM für das bevorstehende Heimattreffen leisten.

Der Zug nach Gumbinnen war für den Kreis damit abgefahren. Der Kreisausschuss lehnte die Patenschaft ab, da im Kreisgebiet kaum Gumbinner wohnten, und ließ eine Patenschaft für die Kreise Strehlen, Münsterberg oder Neustadt-Stadt/-Land in Oberschlesien prüfen, aus denen 1945/46 in fünf geschlossenen Flüchtlingstransporten zahlreiche Menschen gekommen waren. Pate wurde der Kreis Bielefeld aber schließlich doch noch: Am 24. Oktober 1956 überreichte Landrat Specht die Patenschaftsurkunde über das schlesische Wansen, aus dem im August 1946 zunächst 1.600 Vertriebene nach Bielefeld und damit auch in den Kreis gekommen waren.

Das Vorgehen des Kreises bei der Gumbinner Patenschaft verarbeitete die Westfälische Zeitung am 12. Juni 1954 im „Bielefelder Tagebuch” in Gedichtform:

„Ein Patenkreis muss schnellstens her –
Dem Kreistag fiel Beschluß nicht schwer.
Gar viel Bedenken aber ließen
nicht zu, der Stadt sich anzuschließen.
Man ließ sich nicht dazu verführen,
Gumbinnen-Land zu akzeptieren,
und sucht, bis man das Rechte find´t,
nun weiter nach dem Patenkind.
So tritt der selt´ne Fall hier ein:
Leicht ist es, Pate wohl zu sein,
dagegen scheint es schwer auf Erden,
ein Pate erst einmal zu werden.”

Indes waren die Bielefelder Stadtverwaltung und Kreisgemeinschaft trotz des Zauderns im Kreis nicht untätig geblieben, und am Wochenende 15./16. Mai 1954 war es schließlich soweit: „Bielefeld grüßt die Gumbinner” empfing ein Schild auf dem Bielefelder Bahnhofsvorplatz etwa 2.000 Teilnehmer – „sogar aus Westberlin und der Mittelzone”, wie die Freie Presse am 17. Mai 1954 schrieb – zum Bundestreffen der Gumbinner. Den Auftakt gestaltete die Übergabe der von Oberbürgermeister Dr. Hermann Kohlhase unterzeichneten Patenschaftsurkunde in der Aula des Ratsgymnasiums. Unter den großformatigen Stadtwappen Gumbinnens und Bielefelds überreichte Bürgermeister Martin Vogeler das Dokument an Hans Kuntze. Mit der Patenschaftsübernahme erklärte Bielefeld seinen Willen, „das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit mit den Heimatvertriebenen in Anknüpfung an das geistige Erbe des deutschen Ostens zu vertiefen”. Gleichzeitig sollte den Heimatvertriebenen des Kreises Gumbinnen eine Stätte geboten werden, „an der sie das Andenken an ihre verlorene Heimat lebendig erhalten” konnten. Schließlich gelobte Bielefeld sein Bemühen, an der „Überwindung besonderer Notstände” unter den Vertriebenen Gumbinnens mitzuwirken.

Die inhaltliche Auslegung des Urkundentexts konnte unterschiedlich ausfallen. Während dieser faktisch neutral und im Sinne des besprochenen Engagements Bielefelds ausgefallen war, erkannte Hans Kuntze darin ein „lebendiges Zeichen für das politische Wollen des deutschen Volkes, auf das Heimatrecht nicht zu verzichten und einst in seinen alten angestammten Grenzen wieder frei leben zu können” in einer Zukunft, „wenn unser Land uns wieder aufnimmt, als die angestammten Hüter westlicher Kultur und Wirtschaft”. Dieser zwischen den Zeilen erkannte Anspruch wie überhaupt die Arbeit der Kreisgemeinschaft wurde später von kritischen Initiativen und Gruppen als Revanchismus getadelt, der den Verlust vormals deutscher Gebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie nicht anerkannen wollte. War die Übernahme der Patenschaft noch 1954 einhellig von allen Parteien beschlossen worden, wurde jetzt von Außen immer wieder die Aufkündigung gefordert. Eine Broschüre wollte 1986 durch „eine sorgfältige Untersuchung der Aktivitäten, Schriften und Aussagen” revanchistische Tendenzen der Kreisgemeinschaft Gumbinnen nachweisen. Zu einer Aufkündigung ist es freilich nicht gekommen und die Arbeit der Kreisgemeinschaft ist heute weit von jeglichem Revanchismus entfernt.

Eine weithin sichtbare Erinnerung an den ehemaligen Kreis Gumbinnen schreitet seit 1961 durch den Bürgerpark: Der „Gumbinner Elch”. Eine erste Initiative für dieses Denkmal startete im Januar 1958 Dr. Wilhelm Niemeyer vom Bielefelder Vertriebenenamt, das die Patenschaft Bielefelds über Gumbinnen verwaltete. Die Finanzierung des Monuments wurde u.a. durch einen „Elchgroschen” gesichert, den die Kreisgemeinschaft seit Mitte 1958 sammelte. Verschiedene Standorte wurden vorgeschlagen, so an der Obernstraße bei der Bavink-Schule, bei der Jungenberufsschule an der Heeper Straße oder bei der Mädchenberufsschule an der Huberstraße. Der Vertriebenenausschuss plädierte für den Heimat-Tierpark Olderdissen, der Rat wollte dem in einer nur 26minütigen Sitzung jedoch nicht folgen, schließlich sollte das Standbild „keine zoologische, sondern eine politische Funktion erfüllen”, wie die Freie Presse am 25. Februar 1960 berichtete. Am 26. Februar 1960 brachte ein mit „H.K.” (Hans Kuntze?) gezeichneter Leserbrief im Westfalen-Blatt den Bürgerpark in die Diskussion. Nachdem eine liegende Darstellung des Elches verworfen wurde („Nur tote Elche legen sich”), konnte das vom Bildhauer Prof. Hans Ruwoldt aus Hamburg gefertigte, 600 Kilogramm schwere Bronzedenkmal am 24. September 1961 eingeweiht werden. Seitdem wird der lebensgroße Elch bei den Gumbinner Heimattreffen in Bielefeld immer wieder aufgesucht.

Bis heute hält die Kreisgemeinschaft Gumbinnen diese Versammlungen jährlich in Stieghorst ab. Und wer dem Bielefelder Oberbürgermeister bei einer festlichen Gelegenheit begegnet, wird an dessen Amtskette auch das Wappen der Stadt Gumbinnen erkennen, das neben neun anderen Wappen und Emblemen von Paten- und Partnerstädten als Zeichen der Völkerverständigung glänzt.

Das 1722 verliehene schräglinks geteilte Wappen zeigt oben den schwarzen preußischen Adler mit seinen Attributen und unten einen steigenden, schwarzen Pfeil. Die russische Stadt Gusev hat das Wappen freilich verändert, indem es aus nachvollziehbaren Gründen den Preußenadler durch den unpolitisch daherschreitenden Elch ersetzt hat.“

Im HB Nr. 2 (Juni 1964) Seite 23 wurde dann an das zehnjährige Bestehen erinnert. Der Artikel war überschrieben mit

„Zehn Jahre Patenschaft Bielefeld – Gumbinnen

Am 15./16. Mai 1954 übernahm die Stadt Bielefeld die Patenschaft über den Kreis und die  Stadt Gumbinnen. Zehn Jahre sind seit diesem für uns Gumbinner so bedeutsamen Tage vergangen. Wir wollen und können der Stadt Bielefeld nur aus vollem Herzen danken, daß sie sich dieser Patenschaft wie ihrer eigenen Sache annahm. Sie hatte für unsere Sorgen immer ein offenes Ohr. Erst durch dieses große Entgegenkommen hat die heimatkundliche Arbeit an unseren Landsleuten und an unserer Jugend die beste Förderung erfahren. Dieses schöne Vertrauensverhältnis, das sich aus der Verbindung Bielefeld – Gumbinnen entwickelte, hat sich auch auf die Bielefelder Bevölkerung übertragen, die unseren Veranstaltungen immer größte Aufmerksamkeit entgegenbringt.

Die Gumbinner Jugend hat in gemeinsamen Freizeiten die Bielefelder Jugend kennengelernt und ein gutes Verhältnis für eine erfolgreiche Zusammenarbeit gefunden.

Das Staatliche Städtische Gymnasium Bielefeld hat bei seiner 400-Jahrfeier am 24./27. Juli 1958 die Patenschaft über das Gymnasium „Friedrichsschule“ Gumbinnen übernommen.

Am 18./20. Juli 1960 wurde die Cecilienschule Bielefeld Pate der Cecilienschule Gumbinnen. Die Bielefelder Turngemeinde übernahm am 24. Juni 1961 die Patenschaft über den Männerturnverein Gumbinnen.

Die Patenstadt Bielefeld ist nunmehr Mittelpunkt der Gumbinner in der Vertreibung. Die Heimattreffen weisen von Jahr zu Jahr einen größeren Besuch auf, und es ist der Wunsch eines jeden Gumbinners, die Heimattreffen in Bielefeld besuchen zu können. So hat in diesen zehn Jahren, die Patenschaft eine Vertiefung erfahren, über die wir nur Erfreuliches berichten  können.“ 

Als im September 1973 eine Gruppe um den Leiter der Bielefelder VHS, Jörg Wollenberg, den Falken und der DFU die „Deutsch-Polnische Gesellschaft e.V.“ gründeten, wurde von ihm die Forderung aufgestellt, dass die Stadträte in Bielefeld und Ostwestfalen die bestehenden Patenschaften mit den ehemals ostdeutschen Städten aufkündigen sollten. (Quelle: HB Nr. 24 – 4/73 – Dezember 1973 – Seiten 18-25)

Ziel der Gründung des Vereins war u.a. die Begründung einer Städtepartnerschaft mit einer vergleichbaren polnischen Stadt. Daraus entwickelte sich die öffentliche Aufforderung an die Stadt, die ostdeutschen Patenschaften, also vor allem das langjährige Patenschaftsverhältnis mit den Gumbinnern „aufzukündigen“.

Anzumerken ist, dass keine größere Anteilnahme der Bevölkerung erfolgt war und auch keine herausragende repräsentative Beteiligung von Rat und Verwaltung stattfand. Bezeichnend ist dazu, dass selbst zwei Mitglieder des o.a. Vereins sich von dieser Forderung distanzierten.

Aufgrund dieser im Raume stehenden Forderung sah sich auch die KG veranlasst, eine Erklärung abzugeben, die Sie im o.a. HB Seiten 22-24 nachlesen können.

So konnte in der Schlussbemerkung der Schriftleitung folgendes erwähnt werden:

Soweit das in Unterhaltungen festzustellen war, ist diese offizielle Gumbinner Erklärung

in der Bielefelder Öffentlichkeit wegen ihres sachlichen und maßvollen Charakters überwiegend positiv beurteilt und freundlich aufgenommen worden. Die Welle der

Leserzuschriften ebbte ab, andere Angelegenheiten der Kommunalpolitik hatten inzwischen stärkeres Interesse erregt, so z.B. der bekannte Fall des sogenannten „Fabrik-schlosses“ in Bielefeld.

Bekanntlich hat Oberbürgermeister Herbert Hinnendahl zu dem Thema der Patenschafts-Aufkündigung eine offizielle Stellungnahme für die Stadt abgegeben, die er in

seiner Ansprache von den Gumbinnern am Tage des Hauptkreistreffens am 14. Oktober

1973 in die „eindeutige Feststellung“ — so der Hauptschriftleiter für Lokales der

„Neuen Westfälischen“, Günter Gerke — kleidete: „Die vereinzelt geäußerte Ansicht,

die Partnerschaft mit einer polnischen Stadt schließe die Patenschaften mit ehemals

deutschen Städten im Osten, die durch den Krieg verloren gingen, aus, wird vom Rat-

haus nicht geteilt!“

Mit der Zeit verflachte die Aufmerksamkeit in dieser Angelegenheit, so dass das Thema nicht mehr aufgegriffen wurde.

Im September 1974 konnte die KG neben „250 Jahre Stadt Gumbinnen“ auch das Jubiläum „20 Jahre Patenschaft Bielefeld – Gumbinnen“ feiern.

Dieses Jubiläum würdigte die KG entsprechend. Eine besondere Festschrift kam als Sonderausgabe heraus und man verzichtete auf die Nr. 26 des HB. Die Ausgabe, versehen mit einem blauen Deckblatt, enthielt neben der Festfolge für die Feierlichkeiten und den Grußworten des OB Hinnendahl, des Kreis-Ältesten Hans Kuntze und des Kreisvertreters Dietrich Goldbeck, der seit dem 28.02.1970 die Nachfolge von H. Kuntze angetreten hatte, auch einen geschichtlichen Abriss über die Entstehung der Stadt Gumbinnen, einen  Artikel über die Landwirtschaft, die Präsidenten der Kammer und Regierung Gumbinnens 1736-1945, den Kirchenkreis Gumbinnen, Beiträge zum 1. und 2. Weltkrieg und anderen Beiträgen. Auch die Gründung der Stadt Bielefeld im Jahre 1214 blieb nicht unerwähnt.

Auch der Nachfolger des OB Hinnendahl, Klaus Schwickert, der im Mai 1975 als OB gewählt worden war, bekannte sich in seinem Schreiben vom 09.06.1975 (s. HB Nr. 29 – 2/75 – August 1975) zum Fortbestand der Patenschaft:

Ich verspreche Ihnen, daß ich die Patenschaftsverhältnisse zwischen den Gumbinnern und der Stadt Bielefeld genauso verwalten werde wie mein verehrter Vorgänger, Herr Hinnendahl. Ich war bei Ihrem letzten Treffen sehr erfreut darüber, daß Sie den zusammengekommenen Gumbinnern soviel Raum ließen für den Austausch von Gesprächen und Gedanken. Bei diesem Treffen — so glaube ich — ist es das vornehmste Ziel, daß man den Menschen, die sich versammeln, Gelegenheit gibt, Gespräche miteinander zu führen. Das haben Sie in großartiger Weise gemacht. Ich bin sicher, daß wir bald einmal Gelegenheit haben werden, das angefangene Gespräch bei Ihrer Veranstaltung demnächst zu vertiefen. 

So konnte im Jahre 1979 auch das 25-jährige Bestehen der Patenschaft in Bielefeld gefeiert werden.

Im Juli 1979 brachte deshalb die Kreisgemeinschaft, mit der Unterstützung der Patenstadt, eine Sonderschrift heraus. Hierin bestätigten Oberbürgermeister Klaus Schwickert und Oberstadtdirektor Dr. Eberhardt Munzert in ihrem Grußwort,  dass sich die Patenschaft bewährt hat:

Zum Patenschaftsjubiläum

Vor 25 Jahren — am 15. Mai 1954 — wurde die Urkunde zu der Städtepatenschaft Biele-

feld-Gumbinnen unterzeichnet. Dies geschah in der erklärten Absicht, den in allen Teilen der Bundesrepublik wohnenden Gumbinner Landsleuten in Bielefeld einen neuen Mittelpunkt zu bieten, an dem sie das Andenken an ihre verlorene ostpreußische Heimat lebendig erhalten können.

Die überlieferten Traditionen und das alte Kulturgut sollten auch in der Ferne gepflegt und den nachfolgenden Generationen erhalten werden. Gleichzeitig ist es ein wichtiges Anliegen unserer Patenschaft, den Gumbinner und Salzburger Freunden auch in ihrer neuen westlichen Heimat das Gefühl der Zusammengehörigkeit zu stärken.

Nach einem Vierteljahrhundert können wir heute mit Freude feststellen, daß sich diese Patenschaft gut bewährt hat. Zwischen der Kreisgemeinschaft Gumbinnen und der Stadt Bielefeld besteht ein gutes, vertrauensvolles Verhältnis, das auch künftig die Grundlage für eine fruchtbare Zusammenarbeit sein wird. Rat und Verwaltung der Stadt Bielefeld werden sich auch in Zukunft ihrer Mitverantwortung für die Kreisgemeinschaft Gumbinnen bewußt sein und das ihrem Patenkind einst gegebene Versprechen ernst nehmen.

Auch im HB Nr. 41 Seite 5 bestätigten der OB K. Schwickert und der damalige Oberstadtdirektor Dr. Eberhard Munzert in ihrem Grußwort vom August 1979, dass die Patenschaft Bielefeld-Gumbinnen bis heute jung und lebendig geblieben ist.

Auf Grund der in diesen zurückliegenden 25 Jahren stets vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen der KG G und der Stadt Bielefeld haben sich unsere Gumbinner Freunde hier einen neuen Mittelpunkt für die Pflege ihrer alten Traditionen und des überlieferten ostpreußischen Heimat- und Kulturgutes geschaffen. Bei dieser wertvollen Arbeit wird die Stadt Bielefeld ihr Patenkind auch weiterhin mit Rat und Tat unterstützen. …… 

Im Jahre 2004 konnte die KG „50 Jahre Patenschaft mit Bielefeld“ feiern. Im HB Nr. 104 vom Juni wies schon Vorsitzender Eckard Steiner auf den Höhepunkt des laufenden Jahres hin. Während des Bundestreffens wurde das Jubiläum entsprechend gefeiert. In einem besonderen Festakt am 12.09.2004 gedachte die KG diesen besonderen Jahrestag.

OB Eberhard David hob in seinem Grußwort hervor:

Sicherlich ist ein besonderes Jubiläum ein Grund zurück zu blicken auf die vergangene Zeit und Erinnerungen wach werden zu lassen. Erinnerungen, die für viele von Ihnen nicht nur das Gedenken an die Heimat bedeutet, sondern auch die Erinnerung an die Jahre der Flucht und der Vertreibung, die für Sie nicht nur den Verlust von Verwandten, Freunden und Bekannten, von Hab und Gut, sondern auch den Verlust eines Teiles ihrer Identität und Ihrer Sicherheit bedeutet hat.

Das hat Sie jedoch nicht davon abgehalten, zusammen mit der heimischen Bevölkerung Bielefeld wie auch andere Städte und Gemeinden wieder mit aufzubauen und zu lebenswerten Orten zu machen, die heute Ihre Heimat sind. Das weiß ich ebenso zu schätzen, wie die Tatsache, dass Sie mit den heutigen Bewohnern Ihrer Heimatstadt gute und freundschaftliche Kontakte unterhalten, dass Sie reges Interesse an der aktuellen Entwicklung dort zeigen.

Aus Ihrer leidvollen Erinnerung an Flucht und Vertreibung dennoch den Willen und die Kraft zu entwickeln, Grenzen zu überwinden und für eine friedliche, freundschaftliche Zukunft einzutreten, darüber hinaus sogar Hilfsaktionen für Menschen in Not in Gusev durchzuführen das ist eine Leistung, auf die Sie aber ebenfalls zurückblicken können und dafür haben Sie zu Recht viel Anerkennung gefunden. Dies ist auch wichtig für die Patenschaft Bielefeld – Gumbinnen, die nun auf 50 Jahre einer vertrauensvollen und erfolgreichen Zusammenarbeit trotz mancher Probleme und Hindernisse mit Ihrer Unterstützung in Zukunft ihre Fortsetzung findet.

Und wieder sind 10 Jahre vorüber gegangen, in denen sich die Patenschaft gefestigt hat.

Die Stadt Bielefeld steht weiterhin an der Seite der KG und nicht ohne Grund hat sie mit uns einen Depositialvertrag (Depositalverträge = Um Unterlagen, die für die Geschichte von Bedeutung sind, auf Dauer zu bewahren, ist es oft sinnvoll und sogar notwendig, die kommunale Überlieferung zu ergänzen. Durch ein Depositum ergeben sich Rechte und Pflichten für das übernehmende Archiv und für den übergebenden Depositar.) mit der KG abgeschlossen, um die historischen Werte auch den nachkommenenden Generationen zu erhalten.

Im März 2007 hat Oberbürgermeister Eberhard David der Patenschaftsverpflichtung Bielefelds an wichtiger Stelle einen weiteren dauerhaften Bestand gegeben, als er gemeinsam mit Eckard Steiner, dem Vorsitzenden der Kreisgemeinschaft Gumbinnen, diesen Depositalvertrag für das Kreisarchiv unterzeichnete (Siehe Heimatbrief 110, Seite 104).

Neben der 60-jährigen Patenschaft mit der KG im Jahre 2014 feiert die Stadt Bielefeld auch ihre Gründung vor 800 Jahren.


Quelle des nachfolgenden Textes ist der Gumbinner Heimatbrief Nr. 135 – 2/2019

1954 – 2019

65 Jahre Patenschaft zwischen der Kreisgemeinschaft Gumbinnen und der Stadt Bielefeld

Bereits vor über 70 Jahren entstand in einer Gruppe von gleichgesinnten Vertriebenen aus dem ehemaligen Kreis und der Stadt Gumbinnen der Wille, eine Vereinigung zu schaffen. Damit wollte man allen Landsleuten, die in alle Richtungen Deutschlands und außerhalb des Landes verstreut waren, eine Anlaufstelle geben. Denn eine gemeinsame Basis im Sinne einer Verwaltung hatte man ja nicht mehr.

Zu den weiteren Gedanken dazu habe ich bereits im Gumbinner Heimatbrief Nr. 123 Seiten 44 – 52 sehr ausführlich geschrieben.

Nun sind wieder fünf Jahre seitdem vergangen und wir merken, dass sich aufgrund der fortschreitenden Zeit die personellen Stärken sehr stark nach unten bewegt haben und der Nachwuchs für ein unbeschränktes Fortbestehen der Kreisgemeinschaft nicht vorhanden ist. Diese Sorge haben aber nicht nur wir alleine, in allen Kreisgemeinschaften und anderen Vereinigungen, die aus dieser Vertreibung entstanden sind, gibt es Nachwuchsprobleme.

Trotzdem lassen wir uns nicht entmutigen, arbeiten weiter für Sie und hoffen darauf, dass doch immer wieder Interessierte zu uns Aktiven stoßen, so dass es doch nicht zu einer Auflösung kommen muss.

Deshalb war es auch für den Vorstand sehr wichtig, das 65-jährige Bestehen dieser Patenschaft in einem würdigen Rahmen mit den Vertretern der Stadt Bielefeld, mit unseren Ehrenmitgliedern und den Mitgliedern des Vorstandes im Alten Rathaus in Bielefeld zu gedenken und auch zukünftige Ziele zu artikulieren.

Wir hoffen, dass unsere Gedanken und Vorschläge Früchte tragen werden, damit die Stadt Bielefeld und die Stadt Gusev eine Partnerschaft eingehen, unter Vermittlung und Mithilfe der Kreisgemeinschaft Gumbinnen e.V.


65 Jahre Patenschaft mit der Stadt Bielefeld und die zukünftige Entwicklung unserer Beziehungen
Rede der Vorsitzenden Karin Banse – zur Feierstunde

Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Schrader, liebe Ehrengäste und Gumbinnerinnen und Gumbinner!

Patenschaft mit der Stadt Bielefeld besteht in diesem Jahr 65 Jahre. Wir können von einer gelungenen Zusammenarbeit sprechen. Immer wieder hat unsere Patenstadt uns unterstützt und geholfen. Sie ist für uns bis heute Heimstatt für unsere Treffen und hat uns über die Jahre begleitet. Wir fanden Hilfe sei es beim Aufbau unseres Archivs und bei seiner archivarischen Bewahrung. Viele Jahre war dort unsere Gumbinner Heimatstube zu finden.

Bei den zahlreichen Besuchen von Delegationen aus Gusev erhielten wir immer Unterstützung, sei es bei der Programmgestaltung oder in organisatorischer und finanzieller Art.

Als sich eine neue Entwicklung anbahnte und die Heimatstube geschlossen werden sollte, unterstützte uns unsere Patenstadt beim Transport des Bestandes nach Gusev. Dort wird in den „Deutschen Stuben“ die historische Vergangenheit von Gumbinnen erhalten und dokumentiert.

Auch unsere ehemalige Heimatstadt profitierte von unserer Verbindung zu Bielefeld. Zahlreiche Hilfen humanitärer Art wurden geleistet. Das Bielefelder Feuerwehrauto tut noch heute seine Dienste. Die Straßenlaternen aus der renovierten Fußgängerzone in Bielefeld bildeten den Grundstock zur neuen Stadtbeleuchtung in Gusev. Viele persönliche Freundschaften entstanden; die engste wohl zwischen dem Kammerchor KANT aus Gusev, der jährlich zu unserem Treffen ein Konzert gibt, zusammen mit dem Männergesangverein Sieker.

Im Laufe der Jahre haben sich die Bedingungen zwischen der Kreisgemeinschaft Gumbinnen und der Stadt Bielefeld verändert. Es haben sich mehr partnerschaftliche Verhältnisse und persönliche Verbindungen entwickelt.

Die es gilt zu stärken und weiter zu entwickeln. Die Patenschaft soll sich zu einer Partnerschaft entwickeln.

Über die Ausstattung der veränderten Beziehungen sind wir im Gespräch. Die Kontakte zu unserem ehemaligen Gumbinnen können nur erhalten bleiben, wenn wir und unsere Patenstadt Bielefeld mit der Stadt Gusev enger  zusammenrücken, denn die Gumbinnerinnen und Gumbinner mit ihren starken Bindungen an die alte Heimat machen den neuen Generationen Platz, die eine neue Heimat gefunden haben und denen die Welt offen steht. Dabei spielt der Heimatbezug zur Kreisgemeinschaft und zu Stadt und Kreis Gumbinnen eine kleinere Rolle.

Das mag man bedauern, aber deshalb gibt es Handlungsbedarf, wenn wir nicht aufgeben wollen.

Wir sind sicher, dass wir einen partnerschaftlichen Weg für die Zukunft  finden werden.


Empfang im Rathaus am 06.09.2019  – Rede von Bürgermeisterin Karin Schrader

Sehr geehrte Frau Banse, meine Damen und Herren!

Ich begrüße Sie herzlich zu diesem heutigen Empfang zum Gumbinner Treffen in der Patenstadt Bielefeld.

Herzlich willkommen in unserem schönen Alten Rathaus.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ (Art.1 Abs.1 Grundgesetz).

Nachzulesen ist der Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz zurzeit auch an der Fassade unseres Alten Rathauses, Sinnbild der Demokratie. Seit einigen Wochen hängt ein 12 x 10 Meter großer Banner über dem Haupteingang.

Gut sichtbar für alle (Rathaus-) Besucherinnen und -besucher, für alle Bielefelderinnen und Bielefelder.

Gerade im Jahr der Demokratie weise ich sehr gerne – und so oft es geht – auf die Bedeutung des Grundgesetzes hin. 70 Jahre nach seiner Verabschiedung ist es aktueller und unverzichtbarer denn je.

Das Grundgesetz schafft den Raum für die Freiheit, die der Mensch zum Menschsein braucht. Es schafft die Grundlage für die Vielfalt in unserem Land.

Vielfalt auch durch Zuwanderung.

Flucht und Vertreibung sind uralte Probleme, die sich bis heute wieder-holen. Die Trauer, die Heimat verloren zu haben und sich als Flüchtling oder Vertriebene nicht überall willkommen zu fühlen, kennen auch die Gumbinner.

Seit nunmehr 65 Jahren besteht diese Patenschaft zwischen Gumbinnen und Bielefeld. Genau am 28. April 1954 beschloss der Rat der Stadt Bielefeld die Übernahme der Patenschaft. Der Beschluss erfolgte einstimmig – das war der eindeutige Beleg für die besondere Verbundenheit von der Stadt zu ihrer Patenstadt. Diese besondere Verbundenheit besteht auch noch heute. Ich freue mich daher, dass ich Ihnen zu Ihrem Treffen die besten Grüße von Rat und Verwaltung der Stadt Bielefeld überbringen darf.

Gerne ist Bielefeld Gastgeber dieses Treffens, bei dem Gespräche, Kontakte und der Austausch alter Erinnerungen oder von Neuigkeiten an die Heimat in Ostpreußen im Mittelpunkt stehen.

Es ist ein Wiedersehen, bei dem Sie sicher nicht nur an die alte Heimat denken oder an das Schicksal von Flucht und Vertreibung, sondern auch daran, wie Sie mit Ihren Familien dieses Schicksal gemeistert haben und wie Sie alle eine neue Heimat gefunden haben.

Mich beeindruckt es, wie Sie auch noch nach Jahrzehnten Erinnerungen pflegen. Aber es fasziniert mich auch, dass es möglich ist, auch im neuen Zuhause die alte Heimat zu leben und man sich ein Stück davon bewahren kann. Das Besondere ist, dass Sie dabei nicht nur in die Vergangenheit zurückblicken, sondern Sie schauen auch nach vorne und sind sogar in Ihrer alten Heimat wieder aktiv.

Ihre neue Heimat haben Sie kräftig mitgestaltet. Sie haben Spuren der Erinnerung hinterlassen – deutlich sichtbar für nachfolgende Generationen.

Spuren, die heute einfach mit zu unserer Stadt gehören wie auch umgekehrt zu Gusev.

Darum ist es ein Bedürfnis und ein selbstverständliches Recht, sich zu den eigenen kulturellen Wurzeln zu bekennen. Das gilt natürlich auch für die Menschen, die als Zuwanderer in Deutschland eine neue Heimat suchen oder schon gefunden haben. Zum Glück ist es so, dass die damals Einheimischen und die damaligen Flüchtlinge, trotzdem zu einer Gemeinschaft geworden sind. Auf dieses anfangs nicht einfache Zusammenwachsen können wir alle stolz sein. Es bleibt zu hoffen, dass dies im Hinblick auf die heutige Flüchtlingssituation auch wieder so erfolgreich gelingen wird.

Bielefeld freut sich, den vertriebenen Gumbinnern und ihren Nachkommen auch in diesem Jahr wieder den passenden Rahmen für Ihr Treffen zu bieten. Ein Treffen, das auch für gesellige Stunden und ein hoffentlich fröhliches Wiedersehen mit Verwandten, Freunden und Bekannten sorgen wird.

Schön, dass Sie wieder hier sind. Genießen Sie die Zeit – die Stunden

der gemeinsamen Erinnerungen genauso wie die der Gegenwart und Zukunft.

Herzlich willkommen!


Beim Empfang im Rathaus am 06.09.2019 – Rede von Peter Grün – Mitglied des Stadtrates

Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Schrader, sehr geehrte Vorsitzende der Kreisgemeinschaft Gumbinnen Karin Banse, liebe Gäste und Gumbinner!

Die Beziehungen der Stadt Bielefeld mit der Kreisgemeinschaft Gumbinnen haben durch die Patenschaft mittlerweile eine 65-jährige Tradition. Auch die Beziehungen der Stadt Bielefeld und insbesondere der Kreisgemeinschaft Gumbinnen zu der Stadt Gusev haben mittlerweile mit über 25 Jahren auch schon eine lange Tradition.

Wie können sich die Beziehungen in der Zukunft entwickeln? Völker-verständigung ist sehr wichtig und aktueller denn je. Beziehungen zwischen Ländern, zwischen Russland und Deutschland, können und dürfen nicht nur auf oberster Regierungsebene, zwischen Vladimir Putin und Angela Merkel gepflegt werden. Und wir hier, die Gumbinner und ehemaligen Bewohner des Königsberger Gebietes, des Kaliningrader Oblast, haben eine durch die wechselvolle Geschichte, ich nenne: Ritterorden, Preußen, Deutschland, Russland mit großen Einflüssen aus dem Baltikum, haben eine durch die Wechselfälle der Vergangenheit geprägte Verantwortung.

Besonders schön wäre es, wenn wir es schaffen mit den Menschen die in dem Großraum leben, also mit Polen, Weißrussen, Russen, Balten und Deutschen eine friedliche Zukunft zu organisieren.

Wie kann die Zukunft der Beziehungen zwischen Gusev / Gumbinnen und Bielefeld gestaltet werden?

In Gusev gibt es noch viel Natur im Nahbereich, auch viel bedrohte Natur: naturbelassene Flüsse, das Tal der Inster, oder etwas weiter an der Ost-see, die kurische Nehrung. Hier sind Naturprojekte möglich, auch Sport, Jugendgruppen mit Kanufahrten, zelten und ähnliches. Aber die Natur ist auch bedroht: Mülldeponien, Abwasserkanäle aus der Zeit Preußens oder Deutsch-lands. Hier ist viel zu sanieren, gilt es gut zu planen. Natürlich wünscht sich die heimische Verwaltung die Zusammenarbeit mit der Bielefelder Wirtschaft. Claas Landmaschinen sind vor Ort. Ebenfalls Miele Staubsauger.

Immer wieder gibt es Besuchergruppen in Bielefeld. Wir haben Miele besichtigt, die Müllverbrennungsanlage, auch die Universität und verschiedene Schulen. Hier sind Kontakte in einem breiten Spektrum von Wirtschaft über Bildung bis hin zu Natur- und Umweltschutz möglich. Auch Vergangenheitsbewältigung im ehemaligen Lager Stuckenbrock wurde mit Besuchergruppen schon realisiert.

In Zukunft muss es darum gehen, Gegenwartsprojekte aus Wirtschaft, Natur, Bildung und insbesondere die Begegnung der Menschen zu fördern.

Die wechselvolle Geschichte kann dabei durchaus hilfreich sein sich daran zu erinnern, dass Frieden, dass das Zusammenleben der Menschen, der Kulturen, nicht selbstverständlich aber durchaus möglich ist.

In diesem Sinne wünsche ich der weiteren Zusammenarbeit zwischen Gumbinnen / Gusev und Bielefeld und vor allem der Kreisgemeinschaft Gumbinnen alles Gute.