Salzburger


Die Ansiedlung der Salzburger


Die Einwanderung der Salzburger gehört zu den wichtigsten Geschichtskapiteln des Kreises Gumbinnen. Es gibt kaum ein weiteres Ereignis, das in so umfangreichem Schrifttum seinen Niederschlag gefunden hat, wie gerade dieses.

Otto Gebauer, der Verfasser des im Jahre 1958 erschienenen Gumbinner Heimatbuches, widmete den Vorgängen der Ansiedlung im Regierungsbezirk Gumbinnen und der Geschichte der Vertreibung der Salzburger überhaupt einen umfangreichen Bericht. Wir wollen dies an dieser Stelle nicht alles wiederholen, sondern uns im wesentlichen auf das be­schränken, was unser Kreisgebiet anbetrifft.

Nach der historischen Fixierung des Ereignisses bei M. Beheim-Schwarzbach (1879) bildet die Ansiedlung der Salzburger in Preußen von 1732—1736 die zweite Haupt­periode größerer Kolonisation unter Friedrich Wilhelm I. Vorangegangen war die erste Hauptperiode von 1721—1725 mit der Ansiedlung von Schweizern, Nassauern und Pfälzern. Ziel Friedrich Wilhelms I. war es dabei, den ihres Glaubens wegen vertriebenen Salzburgern eine neue Heimat zu geben und gleichzeitig das durch die Pest von 1708—1710 entvölkerte Preußisch-Litauen, das ist das Gebiet um Gumbinnen, mit Untertanen und Einwohnern wieder zu besetzen. So lief die Ansiedlung der evan­gelischen Salzburger bei den Zeitgenossen unter der Bezeichnung Repeuplisierung oder Retablissement.

Bevor wir die Vorgänge im Kreisgebiet näher erläutern, seien kurz die Ereig­nisse geschildert, die zur Emigration aus Salzburg führten.

In das katholische Erzbistum und geistliche Fürstentum Salzburg im österreichi­schen war die evangelische Lehre schon im Jahre 1520 eingedrungen. Luthers Lehre hatte großen Widerhall gefunden. Der größte Teil der Bewohner wurde evangelisch. Die katholische Obrigkeit des Landes kam dadurch in nicht geringe Bedrängnis. Trotz des Verbotes protestantischen Schrifttums und obwohl weder protestantische Geistliche sich niederlassen, noch evangelische Kirchen eingerichtet werden durften, gelang es nicht, die Ausbreitung des Luthertums zu verhindern. Seine Anhänger trafen sich heimlich und wurden in Luthers Lehre aus Büchern unterwiesen, die unter Gefahren aus Augsburg und Nürnberg ins Land gebracht worden waren. Zum Teil traf man sich in den Wäldern an einsamen Örtlichkeiten, wo die Bücher vergraben oder verborgen waren. Ausgestellte Wachposten sicherten vor etwaigen Über­raschungen; denn ständig stellten katholische Spione den evangelischen Geheimbündlern nach.

Im Jahre 1685 geschah die erste größere Ausweisung von etwa 1000 Men­schen aus dem Defreggental, mit der die katholische Kirche der Ausbreitung des Luthertums Einhalt gebieten wollte. Doch das Gegenteil geschah. Unter der Regie­rung des im Jahre 1722 zum Erzbischof ernannten Leopold Anton Freiherr von Firmian spitzten sich die Gegensätze zwischen Protestanten und Katholiken außer­ordentlich zu; denn Firmian beabsichtigte, das Land vom Ketzertum zu befreien. Jesuiten, die zur Durchführung von Religionsverhören in das Salzburger Land ge­schickt wurden, konnten nur feststellen, dass das Luthertum verschiedentlich schon über Generationen in den Familien Fuß gefasst hatte, und dass beträchtliche Teile der salzburgischen Bevölkerung nicht mehr zum katholischen Glauben standen. Die fortgesetzte Bespitzelung und Überwachung, auch Beschlagnahme von evangelischen Predigtbüchern, führte nun zu einem entschlossenen Widerstande der Evangelischen, der im Juni 1731 mit einer Beschwerdeschrift von 19.000 evangelischen Glaubensgenos­sen an den deutschen Reichstag nach Regensburg einen Höhepunkt fand. Die Salz­burger forderten die Durchsetzung freier Religionsausübung in Anlehnung an den Westfälischen Frieden von 1648. Sie hatten damit vorübergehend Erfolg.

Am 5. August 1731 schlossen sich die Evangelischen zu Schwarzach im „Salzbund“ zu­sammen. Eine neue Beschwerdeschrift ging an den Reichstag nach Regensburg, doch wurden die 23 Bauern, die den Kurierdienst übernommen hatten, vom Bischof ab­gefangen. Es fanden sich bei ihnen Listen mit 20.678 Namen. Der Bischof bezeichnete den Widerstand gegen die katholische Kirche als Aufruhr gegen seinen geistlichen Staat und erließ am 31. Oktober 1731 das berüchtigte Emigrantenpatent, in dem die etappenweise Vertreibung der Evangelischen angeordnet wurde. Militär führte die Austreibung durch. Planlos irrten die Flüchtigen in Süddeutschland umher, bis König Friedrich Wilhelm I. am 2. Februar 1732 einen Aufruf erließ, dass „er diese vertriebe­nen Glaubensgenossen in seine Staaten aufnehmen wolle“. Freudig folgten sie diesem Rufe. Der königliche Kommissar Göbel übernahm die geordnete Weiterleitung der Auswanderer nach Preußen. 20.694 Personen hatten sich bei ihm gemeldet. In Berlin wurden bis zum 15. April 1733 nur 17.038 Emigranten gezählt. Die Hauptmarschroute führte über Nürnberg, Bayreuth, Hof, Zwickau nach Berlin. Auf preußischem Boden übernahmen besondere Kommissionen der Provinzialverwaltung die Züge der Einwanderer. Am 26. April 1732 traf der erste Zug der Salzburger in Berlin ein. Friedrich Wilhelm I. begrüßte sie mit den Worten: „Bei mir sollt ihr es gut haben, Kinder.“ In kurzen Abständen folgten 32 Transporte. Der 32. Transport, aus­schließlich Handwerker, blieb in Berlin, die übrigen wurden nach Ostpreußen weiter­geleitet, zum Teil mit Pferd und Wagen, zum Teil von Stettin aus zu Schiff nach Königsberg. 15.508 Personen erreichten Ostpreußen, und zwar das erste Schiff am 28. Mai 1732, der erste Landtransport am 6. August 1732.

2.000 Salzburger wurden von Königsberg aus im westlichen Teil der Provinz ange­siedelt, während rund 12.000 nach Gumbinnen wanderten. Dieses Ziel erreichten sie am 17. Juni 1732.

In Gumbinnen hatte die litauische Kammerdeputation schon vorher fleißig Sit­zungen gehalten und eifrigst beraten, wo und wie die neuen Kolonisten unterzubrin­gen wären. Die Verlegenheit war groß, nichts war bereit, aber an Ablehnung war nicht zu denken; denn wenn nichts Ernstliches geschah, drohte unausbleiblich der Zorn des Königs. Der Direktor von Bredow hatte seine Gedanken über die endgültige Ansiedlung der Salzburger in einer besonderen Ausarbeitung niedergelegt.

Städte und Ämter gaben übrigens auch ihre Wünsche zu erkennen, ob sie über­haupt Salzburger haben möchten oder nicht, auch welche Profession besonders beliebt wurde; so wollte u. a. Gumbinnen durchaus keine Leineweber haben, „die mögen im Königsberg’schen bleiben“.

Eine andere Untersuchung ging dahin, ob Dorfschaften geneigt wären, Insthäuser für die Salzburger Tagelöhner zu bauen. Die Antworten fielen verschieden aus. In Brackupönen z. B. werden fünf solcher Häuser in Aussicht gestellt, pro Haus werden 60 Stück Mittelholz, 20 Sperrholz, 30 Lattenstämme, 2 Fenster à 45 Gr. und zwei Öfen à 2 Taler verlangt.

Inzwischen war in Gumbinnen und Nachbarschaft für die Angekommenen ein erstes und nötigstes Obdach zu beschaffen, bis die Verteilung in die Ämter und in die Winterquartiere vor sich gehen konnte. Dieser Notbehelf entsprach natürlich nur wenig dem Geschmack der Salzburger und war für Bequemlichkeiten, von denen sie unter den Beschwerlichkeiten ihres langen Marsches geträumt hatten, nicht eingerichtet. In Massen wurden sie den Bürgern in die Häuser gelegt, und in die Bauernhöfe der Gumbinner Umgegend; die Gasthöfe waren bis auf die Ställe überfüllt, ebenso alle Scheunen und Tennen, jedes Kämmerchen sah so viel müde, oft auch kranke Wanderer, als es nur irgend fassen konnte. Auch waren für viele Familien Zelte im Freien aufgeschlagen. Es wurde aufgerufen, ob nicht einige Arbeit annehmen wollten; nur wenige fanden sich hierzu gleich bereit und gingen an die polnische Grenze, wo Ro­dungsarbeiten ihrer warteten. Der Masse wurde ein besonderer Vorsteher in der Per­son eines Kolonisteninspektors gegeben; als besonders tauglich für dieses schwierige Amt erschien ein bisheriger Kolonistenkommissär Hermann, der Salzburger Trans­porte schon aus dem Süden bis Berlin, von hier bis Königsberg und dann bis Gumbinnen geleitet hatte; zu ihm hatten die Salzburger jederzeit großes Vertrauen be­wiesen. Hermann wurde deswegen mit einem Gehalt von 300 Talern angestellt (25. Juli 1732). Seine Hauptaufgabe bestand darin, dafür zu sorgen, „daß diesen Leuten weder von den Beamten, noch sonst Jemand, einige Ursache zu klagten gege­ben werde“. Er blieb im Zentrum der Kolonie wohnen, in Gumbinnen selbst; seine Arbeitslast war eine fast erdrückende, und nicht minder schwer zu tragen hatte der dortige Amtskommissär Schröder, der zu seinen laufenden Geschäften noch das spe­zielle aufgebürdet erhielt, zusammen mit dem Kolonieinspektor sich den Salzburgern zu widmen.

Inzwischen waren die Vorbereitungen für die Winterquartiere resp. das Interimistikum beendet. Es war die Zahl sämtlicher Bauern in den Ämtern festgestellt, und hiernach wurde die Verteilung der Familienzahl an die Amtleute bestimmt.

Schon im September mussten alle Amtleute in Gumbinnen erscheinen, um die Salzburger in hierzu mitgebrachten Wagen abzuholen. Nicht eine Minute durften sie später kommen als angegeben war, wenn sie nicht etwa die weiteren Zehrkosten für die Salzburger zahlen wollten. Für jede Familie wurde ein besonderer vierspänni­ger Wagen mit Augstleitern mitgebracht, zuweilen statt dessen zwei zweispännige. Aus Gaudischkehmen kamen bereits 26 zweispännige Schlitten an, um 13 Familien mit ihren Habseligkeiten abzuholen und sie in die Winterquartiere zu den Bauern zu bringen.

So war das Interimistikum durch das unablässige Bemühen der Räte und der Inspektoren glücklich eingeleitet, die Salzburger des litauischen Departements waren über alle Ämter der Deputation vorläufig verteilt; für die Not des schnell nahenden Winters war gesorgt, sie waren unter Dach und Fach in warme Stuben gekommen. Die Bauernwirte erhielten für jede Familie, die sie aufnahmen, ein Quartiergeld von 2 Talern. Jedes Salzburger Familienhaupt bekam 10 Taler, 12 Groschen, um für den Winter sich den nötigen Unterhalt beschaffen zu können.

Von den Winterquartieren aus erfolgte dann im nächsten Jahre die allmähliche Ansiedlung. Bereits im Februar 1733 wurde damit begonnen, den Salzburgern den Eid auf den König abzunehmen. In Gumbinnen wurde der Anfang gemacht. Doch einige verweigerten den Eid gleich von vorneherein; so ging es nur an wenigen Orten ohne Schwierigkeiten ab. Die den Salzburgern zugeteilten Äcker mussten im Frühling die Altbauern um­pflügen und im Beisein der künftigen Wirte „tüchtig säen und eggen“. Sowie die Viehmärkte begannen (vom 20. April an), wurde das Besatzvieh für die neuen Höfeeinrichtungen gekauft. Für die in Stand gesetzten Salzburger Bauernhöfe war voller Besatz besorgt; die Kossätenhöfe erhielten 2 Pferde und 1 Kuh. Überall, wo keine Pflüge vorhanden waren, wurden ganz neue angefertigt. Ebenso wurde eine große Menge ganz neuer Wagen angeschafft. Inspektoren des Königs mussten die Durchführung der notwendigen Arbeiten laufend überwachen.

Nach dem ersten großen Plan des Generalwerkes, der auf 250.000 Taler berech­net war und von Trinitatis 1732 bis Ende September 1736 ging (bestätigt den 2. Mai 1734), waren in Gumbinnen selbst allein 80 Bürgerhäuser für die Salzburger herge­richtet, 16 ganz neue Bauernhöfe erbaut und zahlreiche Höfe der liederlichen oder entlaufenen Wirte, die man enteignet hatte, repariert.

Als der erste Etat nicht ausreichte, musste ein zweiter folgen. Die Bauarbeiten zogen sich noch über mehrere Jahre hin.

In der Stadt Gumbinnen kamen 237 Salzburger unter; das ist unter den Städten weitaus die größte Anzahl. Es folgten Darkehmen mit nur 168 Salzburgern, Memel mit 158 und Tilsit mit 141. In Gumbinnen erwarben 17 Salzburger Familien ein eige­nes Haus. In der Regel wurden in den Städten Handwerker angesiedelt; so ist für Gumbinnen von 7 Maurern die Rede. Schon vorher hatte die Stadt ein Bedürfnis auf 5 Tischler, 3 Fleischer, 4 Schmiede und 1 Buchbinderlehrling angemeldet.

Erstaunlich erscheint in den alten Berichten, namentlich in dem des Salzburger zeitgenössischen Historikers Göcking, der die Emigration und Ansiedlung beschreibt, die lebendige Kraft des Evangeliums unter den Emigranten. An ihrem Prediger Breuer hingen sie mit großer Liebe und schätzten besonders ihre Gebetbücher und Bibeln; „denn in Salzburg mußten sie die Bücher in einer hohlen Wand, oder unter den Schwellen oder Dielen bey Lebens-Gefahr verbergen. In Preußen aber durfften sie dieselben frey öffentlich hinstellen, um sie vor jedermann sehen zu lassen. Als Cyriacus Schiel, der in einem Dorffe ohnweit Gumbinnen angesetzt ist, dem Emigran­ten-Prediger Breuer die Einrichtung seines Hauses zeigete, zeigete er ihm auch zu­gleich seine große Folianten-Bibel, die er in Halle geschenckt bekommen. Er sagte dabey: Diese Bibel ist mir viel lieber, als wenn mir einer viel Kayser-Gulden gegeben. Das ist mein bester Schatz auf Erden. Breuer nahm dieselbe, weil sie etwas zurissen war, mit, und ließ sie beym Buchbinder ausbessern. Dafür küssete er ihm Rock und Hände, so lieb war ihm solches“.

Das Bedürfnis, lesen zu können, war daher bei den Salzburgern ein besonders ausgeprägtes. Als der von Breuer ausgebildete Salzburger Lehrer Hochleitner in Gumbinnen seinen Unterricht aufnahm, hatte er eine große Zahl von Interessenten in der Klasse, bei denen es sich nicht nur um Kinder, sondern auch um Erwachsene und alte Leute handelte. Pfarrer Breuer musste für die letzteren Bänke besonderer Konstruktion anfertigen lassen. Die Salzburger Lehrer unterrichteten in den ersten Jahren ohne Gehalt. Auf vieles Klagen über diesen Zustand nahm sich 1735 der Koloniedirektor Herold der Schulen eifrigst an, und er erreichte, dass die 18 Salz­burger Lehrer, die inzwischen unterrichteten, ein Jahresgehalt von 15 Talern pro Kopf erhielten. Besondere Bedeutung für den Zusammenhalt der Salzburger Kolonie erlangte das Salzburger Hospital in Gumbinnen. Die Gegner einer Salzburger Kolonie richteten deshalb vorzüglich gegen dieses Institut ihre Angriffe, die Salzburger dagegen suchten sich vor allem dieses Palladium zu erhalten, ja, suchten womöglich für dasselbe noch größere Privilegien zu gewinnen. Während dieses mit List und großer Erregtheit von beiden Seiten geführten zehnjährigen Streites (1808—1818) war vier Jahre lang die­ses „Carroccio“ der streitbaren Salzburger, das Hospital, gefallen, um sich dann wieder siegreich zu erheben.

Um diesen Streit vollständig verstehen zu können, muss man sich kurz die Entstehung dieses Hospitals vergegenwärtigen. Schon im Jahre der Einwanderung (1732) waren auf königlichen Befehl Vorschläge zur Gründung eines Hospitals durch den Minister v. Görne eingereicht worden. Der König billigte es, „daß zu Gumbinnen vor die Alten und zur Arbeit untauglichen Salzburger ein Hospital vor 100 Personen aus denen Collectengeldern erbaut werde; — desgleichen soll vor die Litauischen Armen ein dergleichen Hospital besonders erbaut und dazu eine jährliche Collecte im ganzen Litthauen angeordnet werden“. Ein Monat später erging der Befehl an die Lithauische Deputation, Pläne und Kostenanschläge einzureichen. Doch wurde mit dem schleunigst in Angriff genommenen Werke bald wieder vorläufig eingehal­ten, die „bresshaften“ Salzburger wurden durch besondere Verpflegungsgelder, oder in städtischen Hospitälern und Krankenhäusern unterstützt.

Ein genauer statistischer Nachweis über die Erwerbsunfähigen unter den Salz­burgern liegt vom 1. September 1733 vor. Danach befanden sich in Lithauen 227 bresshafte oder presshafte Salzburger, 117 in den Städten, 110 in den Ämtern (in der Stadt Gumbinnen 4); die Verpflegung betrug für jede erwachsene Person 10 Taler, 45 Groschen, für die Kinder die Hälfte. Die Lithauische Deputation befürchtete, dass die Zahl der Unterstützungsbedürftigen bald auf 400 anlaufen könnte und regte deshalb abermals die Idee an, ein Salzburger Hospital zu gründen. Es war aber nicht des Königs Wille, das Geld hierzu lediglich aus eigener Tasche herzugeben, die Emi­grantenfonds sollten ebenfalls in Anspruch genommen werden; infolgedessen schleppte sich die Hospitalfrage noch eine Zeit in die Länge. Zwar wurde im Jahre 1735 durch Kabinettsordre der lithauischen Regierung nachgegeben, dass „in Gumbinnen ein doppeltes und in Darkehmen ein einfaches, von denen auf königliche Kosten erbauten, mehrenteils fertigen Häusern unentgeltlich eingeräumt werden, welche wir als Hospitäler dazu allergnädigst schenken. Ihr habt also danach das Nöthige vorläufig zu verfügen, insbesondere aber zu besorgen, daß in diesen zu Hospitälern geschenkten drei Häusern zu Gumbinnen und Darkehmen vorerst so viele presshafte Salzburger als möglich zur Verpflegung untergebracht werden“.

Das war der Anfang der Hospitalgründung. Aber diese Schöpfung fristete zu­nächst ein kümmerliches Dasein; das Hauptaugenmerk des Königs musste für das erste besonders auf die Ansiedlung der gesunden Salzburger gerichtet sein. Erst im Jahre 1739 schien die Angelegenheit durch eifriges Bemühen des Emigranten-Predigers Breuer wieder in Fluss zu kommen, wie u. a. eine Verhandlung in Gumbinnen am 17. Dezember 1739 beweist.

„Damit das Werk nur einmal in Train komme“, wurden 40 Hospitaliten in Gum­binnen angenommen, die zur Verpflegung monatlich 16 gute Groschen, also jährlich 8 Taler, erhielten; auch ein Prediger sollte für diese „theils Steinalten, theils ganz gebrechlichen Hospitaliten“ mit einem Gehalt von 40 Talern angestellt werden. Der Landphysikus erhielt für etwaige Pflege jährlich 8 Taler; für Medizin 12 Taler, Rechnungsführer 10 Taler, Reparatur 10 Taler wird ein Etat auf 400 Taler fest­gesetzt. Fast umgehend erfolgte die königliche Genehmigung hierzu.

Diese Kabinettsorder wird für die eigentliche Fundationsurkunde angesehen und lautet:

„Friedrich Wilhelm usw. Unsere etc. Uns ist aus dem von Euch eingesandten Protokolle vom 17. Dezember jüngsthin vorgetragen worden, was Ihr wegen Unter­bringung der armen alten und presshaften Salzburger in das dortige Hospital mit dem Prediger Breuer zu Stallupönen verabredet habt und wie Ihr dieses Werk zum Anfange zu fassen gedenket. Nun finden Wir zwar, in Consideration des annoch ge­ringen Fonds der Interessengelder unnötig, einen eigenen Prediger mit 40 Talern zu salarieren, da sonder Zweifel einer der dortigen Stadt-Prediger, wie in unseren an­deren Städten in der gleichen Gelegenheit geschiehet, diese Arbeit vor der Hand und bis die Interessengelder sich vermehrt haben werden, vor ein Douceur von 12 Thaler jährlich gerne und willig übernehmen muß. Wie denn auch der dortige Land-Physikus die ersten Jahre über, wenn er eine Arzenei bezahlt bekommet, die übrige Mühe, weil es ein pium corpus betrifft, wohl umsonst thun wird. Was aber die übrigen im besagten Protocolle angeführte und verabredete Punkte anbelanget, so werden solche insgesammt von Uns hiemit in Gnaden approbiret und habt Ihr demnach nunmehro diese Sachen verabredeter Massen und wie hier oben erinnert worden, zu fassen, und daß solche fördersonnst zu Stande komme, pflichtmäßig zu besorgen.“
Davon geschiehet usw.
Berlin, den 21. Jan. 1740.“

Die Zahl der Hospitaliten stieg langsam; noch im Jahre 1740 wurden die Stellen um 10 vermehrt, zwei Jahre später war die Zahl von 50 bereits auf 80 Personen angewachsen, im folgenden Jahre werden 92 Verpflegte in den Rechnungen auf­geführt; im Jahre 1757 sind von 170 Verpflegten bereits ihrer 111 im Hospital, diese letztere Zahl erhob sich auf die Durchschnittszahl von 150 Hospitaliten.

Dieses Gedeihen des Hospitals stand selbstverständlich im Verhältnis zu dem Anwachsen der Salzburger Gelder, und diese wiederum flössen aus mehreren Rich­tungen zusammen.

Im Jahre 1778 bestand bereits ein erhebliches Kapital, aus dessen Zinsen die Armen verpflegt wurden. Friedrich der Große beschaffte außerdem von Erzbischof Sigismund Abfindungszahlungen aus Ansprüchen der Salzburger; ratenweise kamen 24.000 Taler ein. Auch dieses Geld wurde sofort auf Zinsen ausgetan. Inzwischen war das Kapital so angewachsen, dass die Zinsen nicht mehr verbraucht wurden. Es betrug in jener Zeit 126.996 Taler, 55 Groschen. Es wurden im Hospital, das ein Salzburger-Vorsteher verwaltete, den die Regierung ernannte, 244 Hospitaliten un­terhalten und außerhalb des Hospitals gegen 500 unterstützt. Das währte bis in die Zeit um 1806/07. Nach dem unglücklichen Ausgang des Krieges gegen Napoleon wurde viel Geld gebraucht, und Beamte Schöns unterzogen im Jahre 1808 auch das Hospital einer genaueren Prüfung. Sie kamen zu dem Schlusse, dass die Gelder, für deren möglichst zweckmäßige Verwaltung die Regierung als natürliche Patronin zu sorgen sich berufen fühlte, nicht immer dem Sinne der Stiftung gemäß verwendet würden; sie fanden im Hospital Leute, die dessen gar nicht bedürftig waren; gerade­zu „wohlhabende“ Leute erhielten durch Hospitalgelder „Geschenke“, Leute, die recht wohl ihrerseits Arme unterstützen könnten. Bei einer nur einigermaßen ge­schickten Verwaltung der Hospitalgelder, des Kapitals und der Zinsen, könnten so­wohl die Interessen der Salzburger Kolonisten wahrgenommen, als auch allgemein nützliche, den Staat betreffende Einrichtungen getroffen werden.

Schön machte gegen die „angemaßten Rechte der s. g. Salzburger Colonie“ ener­gisch Front. Er wollte außer den beiden städtischen Salzburger Schulen auch die 18 Salzburger Landschulen unterstützt sehen, von denen allerdings nur zwei aus­schließlich (die zu Pillupönen und die zu Szittkehmen), die anderen vorzugsweise von Salzburger Kindern besucht wurden. Das Gehalt der betreffenden Lehrer war so niedrig, wie es niedriger kaum gedacht werden konnte, von diesen Lehrern erhielten einige nur 25, viele sogar nur 15 Taler bares Geld.

Aber die Salzburger waren durchaus anderer Meinung als Schön, besonders der damalige Hospital-Vorsteher Lindtner. Er aktivierte einige Salzburger, die beim König gegen den Plan Schöns protestierten. Doch der König gab Schön recht. Es sollte eine Krankenanstalt errichtet werden, und die Unterstützung der Salzburger Schulen sollte durchgeführt werden. Allerdings gab es auf Grund der politischen Verhältnisse eine Verzögerung, die bis zum Ende der Befreiungskriege andauerte. In dieser Zeit war die Salzburger Anstalt überfüllt von russischen Verwundeten und wurde erst Ende 1813 wieder, samt der Kirche, gänzlich geräumt.

Von einer Anerkennung der Reform seitens der Salzburger war jedoch keine Rede. Im Jahre 1816 schließlich kam es zur Bildung einer Kommission, die das Hos­pital verwalten sollte. Sie bestand aus vier Mitgliedern der Salzburger Gemeinde und führte den Titel „Vorsteher der Salzburger Anstalt“, und hatte bereits am 9. Januar 1816 ihre Funktion angetreten. Die feierliche Einweihung als neu ein­gerichtetes Krankenhaus fand am 25. Juli 1816 statt. Damit war jedoch der Kampf nicht beendet. Im Jahre 1817 schließlich gab der König nach, und das Hospital wurde wiederhergestellt. Damit war auch die Salzburger Kolonie wieder von höchster Stelle her anerkannt und zu Ehren gebracht. Schön fühlte sich gekränkt. Gleichzeitig erklärte der König noch zur Gehaltsverbesserung an den gelehrten Schulen in Tilsit und Gumbinnen für jede Anstalt 700 Taler bewilligen zu wollen.

Im Jahre 1834 bei erfolgter Wahl der Vorsteher führten auftauchende Zweifel und mannigfache Widersprüche zu einer neuen Ministerialverfügung, die die Errich­tung eines festen Statuts anordnete, das in 107 Paragrafen abgefasst wurde.

Das Kapital belief sich am 9. September 1818 auf 130.000 Taler, 1846—1848 stand es nur mit 115.983 Talern verzeichnet. Grund für dieses Minus war der Brand am 26. Mai 1843 und der Wiederaufbau des Hospitalgebäudes und einiger Wirt­schaftshäuser gewesen; doch arbeitete sich das Kapital langsam wieder empor; in den Etatsjahren 1876—1878 war das Stammkapital mit 375 270 Mark angegeben.

Die Ausgaben unterlagen selbstverständlich größeren Schwankungen, da die Zahl der Hospitaliten nicht immer dieselbe war. Im Jahre 1840 wurden 150 Personen innerhalb des Hospitals und 330 außerhalb verpflegt; im Jahre 1850 waren es 150 innerhalb und 214 außerhalb. Außerdem erhielten die Hospitaliten im Alter von 50 bis über 80 Jahre 1 Taler, 15 Silbergroschen; 1 Taler, 20 Silbergroschen; 1 Taler, 25 Silbergroschen bis 2 Taler monatlich, je nach Bedürftigkeit und Würdigkeit.

Im Jahre 1754 hatte sich die Salzburger Gemeinde eine eigene kleine Kirche für 501 Taler, 41 Groschen erbaut, die ungefähr 200 Personen fasste. Diese kleine Kirche war jedoch bereits im Jahre 1838 so baufällig geworden, dass sie abgetragen und zum Bau einer neuen Kirche geschritten werden musste. Dieser im Jahre 1839 begonnene Bau wurde bereits im nächsten Jahre vollendet; die Kirche ist am 15. Oktober 1840 eingeweiht worden; ihre Herstellung kostete die Anstalt 4252 Taler.

Übrigens unterhielt die Kolonie auch einen „Colonienachtwächter“, der von seinem ursprünglichen Gehalt von 20 Talern auf 6, eine Zeit lang sogar auf 2 Taler herabgesetzt worden war.

Ein wichtiges Fest nicht nur für das Hospital, sondern auch für alle Salzburger in Preußen war das einhundertjährige Jubelfest der Einwanderung, das am 25. Juli 1832, am Jakobitage, gefeiert wurde. Es war der Tag gewählt worden, an dem der erste Salzburger Trupp in Gumbinnen angekommen war. Zu Ehren des Tages war in Berlin eine Gedenkmünze geprägt worden, welche auf der Vorderseite die Gestalt der Borussia weist, wie sie einem vor ihr knieenden Salzburger eine Verleihungsurkunde überreicht. Die Umschrift lautet: „Mir neue Söhne. Euch ein neues Vaterland.“ Unten: „Aufgenommen den 25. Juli 1732.“ Die Rückseite trägt die Inschrift: „Zur einhun­dertjährigen Gedächtnisfeier der Aufnahme in Schutz und Glaubensfreiheit unter Preußischem Scepter Salzburgs vertriebene Söhne. Am 25. Juli 1832.“

Schließlich sei darauf hingewiesen, dass die Hospitalfrage ein wesentlicher Grund dafür war, dass die Salzburger Nachkommen sich so lange als Glieder eines Gemein­wesens haben fühlen können; ihre Eigentümlichkeiten an Sprache und Sitten sind erloschen, die Namen sind nicht immer maßgebend, die ursprünglichen Wohnorte hatten sich oftmals geändert, aber das Bewusstsein, gemeinsame Rechte zu besitzen, ließ die meisten von ihnen die Salzburger Anstalt als den Brennpunkt betrachten. Bis zur Vertreibung organisierten sich die Salzburger in der „Salzburger Versammlung“, die aus 26 Abgeordneten bestand, die in den Kreisen der drei Regierungsbezirke Gum­binnen, Königsberg und Allenstein von den dort wohnhaften volljährigen, geschäfts­fähigen und im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte befindlichen Personen, welche im Mannesstamm von den in den Jahren um 1732 eingewanderten Salzburgern ab­stammten, auf sechs Jahre gewählt wurden. Diese Abgeordneten wählten sechs Vor­steher und deren Stellvertreter, die das Vorsteheramt bildeten und mit Unterstützung eines Rendanten, dem die Geschäfts- und Kassenführung oblagen, die eigentliche Ver­waltung der Anstalt besorgten. In jedem nach den vorerwähnten Grundsätzen wahl­berechtigten und wahlfähigen Salzburger blieb so das Bewusstsein lebendig, dass die gesamten Einrichtungen der Anstalt einschließlich der Kirche und des Vermögens im Eigentum aller Salzburger Nachkommen standen und in gemeinnütziger Weise ver­waltet wurden. Der letzte Vorsitzende des „Vorsteheramtes der Salzburger An­stalt“ war Guts- und Mühlenbesitzer Fritz Pflichtenhöfer, der letzte Rendant Post­rat Hermann Brandtner.

Die Anstalt bestand aus drei Wohngebäuden mit 25 Zimmern, in denen insge­samt durchschnittlich 50 Insassen wohnten. Aufgenommen wurden über 60 Jahre alte, bedürftige, väterlicherseits von den eingewanderten Salzburgern abstammende Personen. Sie erhielten freie Wohnung, freie Heizung und Beleuchtung sowie freie ärztliche Behandlung und die erforderlichen Heilmittel. Soweit es die durch die Inflation von 1923 zusammengeschmolzenen, nur noch verhältnismäßig geringen Mit­tel der Anstalt gestatteten, wurden auch kleinere Unterstützungen gezahlt.

Zur Salzburger Kirche in Gumbinnen sei noch angemerkt, dass sie 1931 gründlich renoviert wurde. Besonders bemerkenswert war der links der Kanzel angebrachte Einwandererstab, den der Führer einer Einwanderungsgruppe dem Zuge vorangetra­gen haben soll, sowie ein zur 200-Jahr-Feier von einem Salzburger gestiftetes Glas­fenster, das die Austreibung der Salzburger darstellte.

Eigentümlichkeiten in Haus und auf dem Acker waren 1879 bei den Salzburger Siedlungen in Ostpreußen fast gänzlich verschwunden; „zuweilen sieht man an den Gebäuden noch Galerien, die an die südländische Abstammung der Erbauer erinnern können“. Bei den Kindern in der Umgegend von Gumbinnen lebte aber noch ein alter Reim:

„Wolln mal nach Holla fahren
Nach ein Fuder Salz,
Nach ein Fuder Schmalz,
Nach ein Fuder Mandelkern,
Das ißt mei Hansel gar zu gern.“

Das darin genannte „Holla“ ist jedenfalls das alte Wort für den Ort „Hallein“. Die Namen der Einwanderer aus Salzburg sind im Stammbuch der Salzburger von Gollub festgehalten.


Quelle: Gumbinnen von Dr. Grenz